Von Siiri Klose
„Am Bahnsteig zwei bitte Vorsicht bei der Ausfahrt des Zuges“ – die Stimme schallt souverän über den Bahnhof. Eigentlich alles normal. Nur dass der Bahnhof am Straßburger Platz, das Signal, die Andreaskreuze und die schmalen Gleise wie Bestandteile einer vergrößerten Modelleisenbahn wirken. Und die Stimme der Durchsage ein wenig jung klingt. Kein Wunder, sie gehört zu Erwin Hilbrich, der von dem erhöhten Stellwerk aus die Gleise überschaut. Der Schüler ist 15 Jahre alt und heute als Fahrdienstleiter bei der Parkeisenbahn Dresden im Einsatz. Viel Zeit für Erklärungen hat er nicht: Denn auch wenn es am Fahrkartenschalter Plüsch-Schnatterinchen und Unmassen bunter Süßigkeiten gibt und die ganze Rundfahrt nur 5,6 Kilometer lang ist, hat Erwin eine große Portion Verantwortung zu tragen.
Jetzt muss er erst mal raus zum Signal, um dem Zug mit der roten E-Lok die Ausfahrt zu erlauben: „Erst wenn ich die roten Lampen hinten sehe, hat der Zug den Bahnhof verlassen“, sagt er, lässt das Signal wieder herunter und geht schon zur nächsten Anweisung über: „Am Bahnsteig eins voraussichtliche Abfahrt des Zuges 16.31 Uhr“, spricht er mit geübter gleichmäßiger Betonung ins Mikrofon.
160 Jungs und fünf Mädchen
Wer auf dem Bahnhof am Straßburger Platz mitarbeitet, ist mindestens schon seit drei Jahren Parkeisenbahner. „Die Kleinsten fangen bei der Karcherallee an, ein Jahr später sind sie beim Carolasee“, sagt Angela Neumann, stellvertretende Leiterin der Dresdner Parkeisenbahn. Von Jahr zu Jahr steigert sich der Schwierigkeitsgrad des Bahnbetriebs. Am kompliziertesten ist der Bahnhof am Zoo.
Die Neulinge sind in der vierten und fünften Klasse, wenn sie dazu stoßen: „Später hat es keinen Sinn mehr, dann fühlen sie sich unterfordert“, sagt Neumann aus langjähriger Erfahrung. Sie fing selbst vor 34 Jahren als Pioniereisenbahnerin an. Damals wie heute sind Mädchen Ausnahmeerscheinung beim Miniatur-Bahnbetrieb: „Unter den 165 Kindern sind nur fünf Mädchen. Meistens sind die vorbelastet und kommen aus Eisenbahner-Familien.“
Eine Kaderschmiede für die „richtige“ Bahn wie zu DDR-Zeiten ist die Parkeisenbahn längst nicht mehr. Dafür ist die Deutsche Bahn zu komplex geworden. „Bei uns wird noch in einem Stellwerk gelernt, mit Hebeln“, sagt Neumann. So etwas gebe es heute kaum noch auf regulären Bahnhöfen, auch die Signalbilder sehen völlig anders aus. Überhaupt: Betriebs- und Verkehrseisenbahner, wie sie es nach der Schule gelernt hat, werden kaum noch gebraucht. Schade eigentlich: Dank ihrer Jahre bei der Pioniereisenbahn schaffte Angela Neumann die Lehre mit links.
Zeit vergeht viermal schneller
Nachwuchssorgen habe man trotzdem nicht. Die Flaute bei den Anmeldungen sei vorbei, im vergangenen Jahr sind wieder 30 Neue dazugekommen, 24 von ihnen schieben in diesem Sommer das erste Mal Dienst in der Praxis. Die Wintermonate von den Herbstferien bis Ostern sind der Theorie vorbehalten: Wie das Zugmeldesystem funktioniert, wie ein Zug für die Abfahrt abgefertigt wird, worauf ein Zugbegleiter zu achten hat – das alles lernen die Kleinsten. Auf einer 70 Quadratmeter großen Lehranlage, auf die jeder Modelleisenbahnbesitzer neidisch sein dürfte, sind die Stunden schon ziemlich praxisnah: Fahrpläne vom Anfängerbetrieb bis zum Profiplan werden dann mit sechs Zügen nachgefahren und eingleisige Streckenabschnitte überwunden. Auch die Fahrzeiten sind dort quasi maßstabsgerecht verkleinert: Die Modellbahnuhr läuft viermal schneller als die Realität.
Noch etwas lernen die Parkeisenbahner rasch: wie man sich als Fotomodell zu bewegen hat. „Es kommt ständig vor, dass ich mich in Uniform und Kelle neben eine der Loks oder die Kinder stellen soll“, sagt Christian Schiffner, mit 19 Jahren schon ein alter Hase auf der Strecke. Ein wenig stolz ist er auch darauf, all die Fragen der Passagiere zu der Kleinbahn beantworten zu können. Bei Bedarf auch umfangreich – schließlich kennt er sich auf jedem einzelnen Kilometer bestens aus.