Von Frank Seibel
Im Sommer ist es gut. Da ist noch Platz auf dem Sofa. Da kann man in Ruhe Karten spielen oder „Mensch, ärgere dich nicht“. Oder ein paar Akkorde auf der Gitarre üben, die einem Martin beibringt, der Praktikant. Im Sommer fühlt sich das kleine Haus unter der riesigen Rotbuche wirklich an wie ein Zuhause. Dann kommt Jenny jeden Tag hierher in die Konsulstraße, und sie weiß, dass sie nur ein paar Leute trifft, die sie schon kennt, weil die vielen, die das hier an schlechten Tagen ungemütlich machen, draußen sind am See. „Im Winter ist es krass voll“, sagt Jenny, da sind manchmal zwanzig, dreißig Jugendliche hier, die nur eines wirklich eint: Sie müssen nach der Schule irgendwohin, was nicht zu Hause ist. Denn dort ist nur Ärger oder Stress, oder sie sind gar nicht erwünscht, weil die Eltern finden, dass es nur noch mehr Ärger und Stress gibt, wenn alle Kinder zu Hause sind.

Jenny ist jetzt 17 und hat das Schlimmste vielleicht schon hinter sich, was das angeht. Seit acht Jahren ist das Jugendzentrum „Effi“ für Jenny ein Zufluchtsort. Hier wird sie in Ruhe gelassen, wenn sie will. Oder sie kann reden, wenn sie will. In den vergangenen Jahren war das manchmal nötig, das Reden. „Früher war ich sehr aggressiv, weil es nicht so lief“, sagt die junge Frau, die nur andeuten mag, was das heißt. In der Schule fiel sie derart zurück, dass die Lehrer das Jugendamt informierten. Die Leute vom Amt fanden, dass die Mutter sich schwertut, mit den insgesamt vier Kindern klarzukommen. „Aber wir wollten beide keinen Betreuer vom Amt“, sagt Jenny, die ihren mittlerweile verstorbenen Vater nie wirklich kennengelernt hat.
Dass sie inzwischen viel ruhiger und entschlossener wirkt als vor einigen Jahren, hat wohl viel damit zu tun, dass sie im „Effi“ einen verlässlichen Anlaufpunkt gefunden hat. Viele solcher Orte für Jugendliche wie sie gibt es nicht. Das Camaleón am Lutherplatz, der Einer-für-alle-Verein am Haus der Jugend und eben das Effi fallen Jenny ein.
Doch eine sichere Burg ist das Jugendhaus des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) nur scheinbar. Immer wieder stand das Haus auf der Kippe, nachdem der Landkreis vor vier Jahren die regelmäßigen Zuschüsse gestrichen hat, sagt Andrea Werner. Sie ist für die Jugendeinrichtungen des ASB im Landkreis verantwortlich. Wenn nicht die Stadt Görlitz eingesprungen wäre und die Miete für das Haus in der Konsulstraße zahlen würde, dann müsste die Einrichtung schließen. Die Öffnungszeiten sind bereits verkürzt. Früher ging es schon mittags los, und es gab eine Hausaufgabenbetreuung. Ein fest angestellter Sozialarbeiter kümmerte sich um die Jugendlichen. Mittlerweile halten Studenten den Betrieb aufrecht, die ein paar Euro Aufwandsentschädigung erhalten. Von 15 bis 18 Uhr öffnen sie „Effi“ – wenn sich zwei Freiwillige finden. Wenn nur einer Zeit hat, bleibt das Jugendhaus zu. So will es der Träger, aus Sicherheitsgründen.
Jonas Kissmann ist einer von ihnen. Er kommt mehrmals pro Woche hierher, um neben dem Studium praktische Erfahrung zu sammeln und den jungen Leuten zu helfen. „Es gibt viele Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen, die nicht zu blöd sind, die aber zu Hause nicht gelernt haben, etwas aus sich und dem Leben zu machen.“ Im „Effi“ kann er ihnen helfen, wenigstens etwas Selbstbewusstsein und Zuversicht zu tanken. Seine Aufgabe ist es vor allem, da zu sein und mit jeweils einem weiteren Studenten dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen sich an Spielregeln halten. Zum Beispiel an die, das Alkohol und Zigaretten absolut tabu sind. Oder die Regel, sorgsam mit den Möbeln, den Spielen und Geräten umzugehen. Trotzdem ist die Einrichtung in die Jahre gekommen: das Lümmelsofa im großen Raum, die Tische, Stühle, Schränke, auch der Fußbodenbelag, die Tischtennisplatte. Neue Tischtennisschläger könnte es mal geben, einen neuen Basketballkorb für draußen, auch frische Farbe für die Wände. Dafür wären ein paar Euro aus der SZ-Spendenaktion (siehe Kasten) willkommen.
Jenny jobbt mittlerweile vormittags am Haus der Jugend. Aber nachmittags kommt sie immer noch zum Effi, bevor sie gegen Abend nach Hause geht. In ein paar Monaten, wenn sie 18 ist, will sie an der Abendschule ihren Hauptschulabschluss nachholen und danach gerne Köchin werden. Sie hat sich vorgenommen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Ihr hat „Effi“ geholfen.
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