SZ +
Merken

Ein Paradies im Hinterhof

Familie Schmidt aus Kamenz hat sich vor Jahren an der Pulsnitzer angesiedelt. Warum ausgerechnet dort?

Teilen
Folgen

Von Ina Förster

Das ockerfarbene Haus Nummer 2 liegt an der engsten Stelle der Pulsnitzer Straße. Auf den ersten Blick eilt man vorbei. Eine lange Fassade, viele Fenster, ein altes Schaufenster mit Ladentür, daneben das Schild einer Logopädie- und Ergotherapie-Praxis. Die gehört Katrin Schmidt. Und die hat es eilig. Eigentlich immer seit den letzten 13 Jahren. Eine Familie mit vier Kindern, das späte Studium in Cottbus, eine langwierige Erkrankung, die an unpassendster Stelle dazwischenkam wie immer. Dazu der jahrelange Umbau. „Irgendwie wird man ja nie fertig mit so einem Haus“, sagt sie. Das zehrt und schreibt eines vor: Zielstrebigkeit und Freude am Tun. Es verspricht aber auch Zufriedenheit. Tatsächlich heißt die Fassadenfarbe vorn „Harmonie“. „Friedrich, unser Jüngster, meinte damals pragmatisch – na wenn‘s nützt?!“ So viel dazu …

In der Ergo- und Logopädie-Praxis schmückt ein Sprachbaum den Eingang. Die Idee stammt von Katrin Schmidt.
In der Ergo- und Logopädie-Praxis schmückt ein Sprachbaum den Eingang. Die Idee stammt von Katrin Schmidt.
Von ihrer Terrasse an den Wohnräumen aus, hat Katrin Schmidt nicht nur einen herrlichen Blick auf den Hutbergturm (und kann sogar das Turmblasen miterleben), sondern unser Fotograf auch einen prima Blick in den sanierten Innenhof mit Originalmauern des al
Von ihrer Terrasse an den Wohnräumen aus, hat Katrin Schmidt nicht nur einen herrlichen Blick auf den Hutbergturm (und kann sogar das Turmblasen miterleben), sondern unser Fotograf auch einen prima Blick in den sanierten Innenhof mit Originalmauern des al
Bis 1954 nannte man den Weg am Haus entlang das „Scheiß-Gässl“. Vom schlimmen Erbe ist nichts sichtbar.
Bis 1954 nannte man den Weg am Haus entlang das „Scheiß-Gässl“. Vom schlimmen Erbe ist nichts sichtbar.

Die Kamenzer Familie hat das alte Haus an der viel befahrenen Straße 2000 gekauft. „Im Grunde genommen eher aus einer Not als einer Tugend heraus“, sagt Katrin Schmidt. „Wir haben mit vier Kindern eine große Wohnung in der Altstadt gesucht. Da wir aus dem Neubau kamen, wollten wir näher an der City sein. Aber Vier- bis Fünfraumwohnungen gab es einfach nicht zu mieten.“ So machte man sich auf die Suche nach einem Haus. Ein altes sollte es sein, mit Charakter und einer Geschichte, wenn möglich. Sie haben es wenig später günstig bekommen. Geld genug sollte es die kommenden Jahre noch kosten. Das wussten die künftigen Bauherren vorher. Aber die Pulsnitzer Straße 2 hatte Flair. Überall erinnern alte Bodenfliesen, Glasdecken und Nebengelasse an das, was es über lange Zeit war: Eine Fleischerei. „Im Grundbuch steht, dass es seit 1836 der Familie Wobser gehörte. Und die waren immer Fleischer“, weiß die 47-Jährige. Man erkennt noch, wie der Laden, das Schlachthaus, die Lagerräume mehrfach umgebaut worden sind. Im alten Ladengeschäft prangt dem Betrachter eine wertvolle Decke entgegen. Jugendstil womöglich. Die alten Durchreichen zur Suppenküche sind da und von den dicken Mauern des ehemaligen Kühlhauses können die Schmidts ein Lied singen. Das haben sie nämlich vor Jahren im Hof abgerissen, ebenso wie das alte Waschhaus. An dieser Stelle sitzen sie heute mit Freunden am Feuer zusammen, grillen und reden über das, was sie bewegt. Der Innenhof ist fantastisch. Ein verstecktes Schmuckstück. Doch dazu später …

Mit 34 Jahren wurde Katrin Schmidt also Bauherrin und wagte das Abenteuer. „Zuerst wollten wir einfach nur hier wohnen, bauten die Wohnung in der ersten Etage aus. Immer mit Blick auf Weiteres. Aber das hat damals nicht geeilt. Vielleicht würde ja später mal eines der Kinder einziehen wollen, dachten wir.“ Die Schmidts haben angepackt. Und tun es bis heute. Das hat die Familie zusammengeschweißt, auch wenn die beiden großen Kinder (26 und 28 Jahre) mittlerweile anderswo leben. Auf den 150 Quadratmetern Wohnfläche in der ersten Etage war immer was los. Hier sind die beiden Nachzügler (heute 12 und 14 Jahre) groß geworden. Platz gab und gibt es reichlich. Und für jeden ein extra Kinderzimmer, was den Schmidts ja wichtig war.

Als die Kamenzerin wegen einer schweren Krankheit lange zu Hause bleiben musste, war ihr klar, dass sie in ihrem eben neu erlernten Beruf der Logopädin nicht so schnell wieder einen Job finden würde. Außerdem lag ihre letzte Arbeitsstelle in Schwarzheide. „Ich wollte endlich vor Ort sein – bei meinen Kindern und Kamenz“, sagt sie. Also nahm Plan B Gestalt an: Eine eigene Praxis ausbauen. Platz genug gab es ja. Im Erdgeschoss sanierte man nun also weitere Räume. Hell und freundlich kommen die Therapieräume daher, mit Zugang zum neu gestalteten Hof. „Das war mein Baby, ich hatte eine Aufgabe, habe mich um alles allein gekümmert“, sagt die 47-Jährige stolz. Im April 2011 konnte sie öffnen. Das Haus ist seitdem wunderschön geworden. Der Hinterhof strahlt fast schon etwas Toskanisches aus. Alte Mauern säumen ihn. Hier brach beim Umbau „aus Versehen“ das alte Kühlhaus zusammen und der Dachstuhl war nicht mehr zu retten. Die Notlösung ist prima geworden.

In den Fußboden hat Katrin Schmidt alte Granitsteine eingelassen und sie zu einer Sonnenblume gefügt. Die entfaltet ihre Pracht, wenn man auf den Balkonen der oberen Wohnung steht. Auch der Zugang zum ehemaligen „Scheiß-Gässl“ von Kamenz ist wunderbar gestaltet. Das führte noch bis 1956 am Haus der Schmidts vorbei und wurde dann von der Stadt abgesperrt, weil man sich hier gern in der Enge und Dunkelheit der Gasse erleichterte. Das alles ist Geschichte. Die Historie lebt weiter. Katrin Schmidt hat mit ihrer Familie ein herrliches Kleinod geschaffen, in das sicher gern viele Neugierige mal hineinspitzen würden. Hinten liegt das Paradies.