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Ein Parkplatz für den Mitarbeiter des Monats

Paketzusteller ist kein Traumjob – schon gar nicht vor Weihnachten. Die SZ hat einen UPS-Boten auf seiner Tour begleitet.

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© Ronald Bonß

Von Michael Rothe

Im Gewerbegebiet Klipphausen, gut 20 Autominuten südlich der Dresdner City, sind Parkplätze rar. Auch auf dem Gelände des Paketdienstes UPS. Wohl dem, der einen Stellplatz sicher hat – wie der „Mitarbeiter des Monats“. Keine zehn Schritte vor der Tür ins Verteilzentrum ist die Pole-Position für ihn reserviert. An diesem Morgen steht unter dem blauen Schild ein weißer Mercedes. Nein, nicht der vom Chef.

Anders als in West-Depots packen die Zusteller in Klipphausen ihre Autos selbst.
Anders als in West-Depots packen die Zusteller in Klipphausen ihre Autos selbst. © Ronald Bonß
Vor Weihnachten werden auch mehr Privatleute bedient – wie Ursula Klotzsche.
Vor Weihnachten werden auch mehr Privatleute bedient – wie Ursula Klotzsche. © Ronald Bonß
80 bis 90 Adressen fährt Jörg Schreiber täglich an, meist Firmen.
80 bis 90 Adressen fährt Jörg Schreiber täglich an, meist Firmen. © Ronald Bonß
Bei Medizintechnik-Händler Ronald Ludwig hält UPS ein, zwei Mal pro Woche.
Bei Medizintechnik-Händler Ronald Ludwig hält UPS ein, zwei Mal pro Woche. © Ronald Bonß

Auch 60 andere Fahrzeuge haben eine Reservierung: In Reih und Glied stehen die braunen Lieferwagen mit offenen Heckklappen vor den Toren. Dahinter geht’s wuselig aber im doppelten Wortsinn sortiert zu. 22 braun Uniformierte laden bis zu 70 Kilo schwere Pakete vom Band und geordnet nach ihrer Tour in die Regale der 3,5- bis 7,5-Tonner. Jeder belädt zwei Kastenwagen: seinen und den vom Kollegen der Spätschicht. Vorn wird die Anlage aus acht Containern bestückt: bei wenigen Grad über Null von dick eingemummelten Teilzeitkräften: Hausfrauen, Studenten, Flüchtlingen. Und deren Bezahlung? Schweigen.

Am Tor 308 belädt Jörg Schreiber seinen P 80, einen größeren Truck. Er hat es eilig, will vor der Morgenrede des Chefs fertig sein. Dann schwört Centerleiter Marcel Mende (35) wie jeden Tag die Truppe ein. Er erinnert an die Abgabe der Urlaubsscheine für 2018 und warnt vor Straßenglätte.

Gegen neun machen sich die Laster auf den Weg. Vier Mal abbiegen, vorbei an der Baustelle des Konkurrenten DHL Express, der dort sein Verteilzentrum erweitert – und schon ist der braune Pulk auf der Autobahn 4. Dann trennen sich die Wege. Am Dreieck Dresden nimmt Schreiber die A 17 nach Prag. Manchmal gibt es dort den ersten unfreiwilligen Stopp. Pech für Boten mit Expressgut an Bord, das laut UPS-Versprechen bis 10.30 Uhr zugestellt sein muss. An dem Morgen geht es ohne Stau in den Dresdner Osten. Wo sich der Lockwitzbach durch die Stadtteile Niedersedlitz, Leuben und Kleinzschachwitz schlängelt, ist Schreibers Revier, kennt er jede Straße. Der 42-Jährige fährt die Tour seit drei Jahren ohne Navi, wäre aber, wie er sagt, noch auf vier anderen Routen einsetzbar.

Schreiber wohnt im Norden der Landeshauptstadt. „Zur Frühschicht klingelt um 4.30 Uhr der Wecker, bei Spätschicht bin ich abends nicht vor acht daheim“, so der getrennt lebende Familienvater. Ist das der Preis für den Job? Über Privates wolle er nicht reden, sagt er. Auch nicht über Geld und ausufernde Reklamationen, mit denen die Branche seit Wochen in der Kritik steht.

Mehr als 80 Adressen pro Tour

15 Millionen Pakete befördern DHL, UPS, DPD, GLS, Hermes & Co im Advent – pro Tag und forciert durch den boomenden Onlinehandel. Dafür werden jährlich 20 000 Saisonkräfte eingestellt, Tausende Transporter gemietet. Dennoch kommt nicht alles pünktlich an, häufen sich Klagen, dass Zusteller nicht klingeln, nur noch die Benachrichtigung einwerfen und der Kunde die Sendung selbst abholen muss.

„Alle Anbieter arbeiten mehr oder weniger mit Subunternehmen, auch aus dem Ausland. Das spart Kosten und schafft Risiken vom Hals“, sagt Andreas Wiedemann, Gewerkschaftssekretär bei Verdi. Viele Fahrer seien Soloselbstständige und hätten damit keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro. Immerhin bediene UPS die letzte Meile selbst, habe in Sachsen zwar keinen Betriebsrat, halte sich aber an den Flächentarif, lobt er. Demnach bekämen ungelernte Packer mindestens 10,03 Euro brutto, Fahrer anfangs 11,20 und nach vier Jahren 12,12 Euro.

„Klar ist es ein Knochenjob, gerade vor Weihnachten“, sagt Schreiber. Aber den habe er als gelernter Zimmermann zuvor auch gehabt. Er sei gern Zusteller, auch weil man viel unter Leuten sei: Menschen wie Claudia Braune von der ABGS GmbH, seinem ersten Stopp. Die Firma verkauft, montiert und wartet Gaswarngeräte. Braune kennt den Mann in der braunen Kluft, kommt er doch fast täglich. Diesmal bringt er zwei Mobilgeräte. Keine Zeit zum Schwatz. Bei Just-in-time-Produktion haben Betriebe keine großen Lager, kommen Teile auch per Post – auf die Stunde genau.

Ein paar Schritte weiter bei Elnic, einem Hersteller von Automatisierungs- und Energietechnik, sind vier Pakete abzugeben. Dann gehts zum Metallbauer SBS Bühnentechnik, der weltweit Theater ausrüstet. Für die 200 Meter braucht er das Auto, für die zehn Pakete einen Wagen. Rolltor auf. Wagen rein. Unterschrift. Tor zu. Weg.

Es ist eine Hatz. Beim nächsten Stopp um drei Ecken ist keiner da. Trotz der Eile bleibt Schreiber ruhig. Zurück zu SBS, wo er das Paket für den Nachbarn loswird. Sonst käme es ins Depot und erneut auf Tour, bis zu drei Mal. HD Holztechnik, ein Großhändler für Holzbearbeitungsmaschinen, ist Adressat und Absender. Schreiber nimmt ein falsches Bauteil als Retoure mit. Bei Steinmeyer Mechatronik heißt es „Tschüs bis dann“. Auf dem Rückweg holt er dort einige Endprodukte ab. Der Maschinenbauer exportiert bis nach Australien.

Nicht umsonst steht am braunen UPS-Truck „Weltweite Dienstleistungen“. Der Logistikriese ist vor allem als Zusteller im Geschäftsverkehr bekannt. Aber in der Vorweihnachtszeit könne schon mal die halbe Fuhre an Privatleute gehen, sagt Schreiber. Die Pressestelle erzählt gern die Geschichte vom Boten, der Eheringe, die am Tag vor der Hochzeit noch nicht fertig waren, mitten in die Trauzeremonie brachte.

Zu Beschäftigtenzahl und Löhnen schweigt der Konzern „aus Wettbewerbsgründen“. Im Advent würden Verwandte und Bekannte von Mitarbeitern sowie Leute aus der Verwaltung helfen, heißt es. Selbst die Chefs seien sich nicht zu schade. Neben dem Anfang der 90er-Jahre eröffneten Depot in Klipphausen gibt es in Sachsen noch Verteilzentren in Bautzen, Leipzig und Chemnitz, 72 sind es bundesweit.

Am Ende zählt Jörg Schreiber 80 Stopps – mangels Parkplatz auch in zweiter Reihe. 80 Mal die Stufen des P 80 runter und hoch. Ebenso oft geht die Schiebetür auf, fällt sie wieder ins Schloss. Dann ist der Truck gesichert und nur per Chip am Handgelenk zu öffnen. Immer wieder kommt gelbe, rote, weiße, hellblaue Konkurrenz entgegen. Die Fahrer grüßen sich. „Wir sind Mitbewerber, keine Feinde“, so Schreiber. Mittags ist die vorgeschriebene Stunde Pause, der Fahrtenschreiber passt auf. Gegen vier gehts zurück. Tanken. Abmelden. Vorbei am motivierenden Super-Parkplatz. Auch Schreiber durfte schon mal – Witzeleien der Kollegen inklusive. Am meisten würde sich der eilige Weihnachtsmann in Braun aber freuen, wenn irgendwann auch bei ihm eine besinnliche Stimmung einzieht.