Ein russischer Geheimtipp

Meißen. Die meisten Bewertungen des „Meißner Hofs“ auf Google sind positiv. „Essen schmeckt sehr gut“, heißt es da zum Beispiel. Hin und wieder wird der unfreundliche Wirt bemängelt. Eine Nutzerin bringt es auf den Punkt und schreibt: „Sagen wir, die Unfreundlichkeit von Herrn Ober wurde durch kulinarische Kunst kompensiert.“
Dieser „unfreundliche Ober“ heißt Frank Arold. Was die meisten Gäste jedoch nicht wissen dürften: Er ist auch für das gelobte Essen zuständig. Denn Arold ist Einzelkämpfer in seinem kleinen Lokal, das vorrangig deutsche und russische Spezialitäten im Angebot hat. Er kocht, nimmt Bestellungen auf und bereitet die Getränke. „Nach fast vierzig Jahren in der Gastronomie ist das kein Problem“, sagt Arold.
Der 62-Jährige stammt aus Meißen und hat in Oberhof das Kochen gelernt. Seit 2005 führt er die Gaststätte in der Lorenzgasse. Die wird häufig als unscheinbar bezeichnet – trotz der großen Schilder davor. Beliebt ist sie bei Stammgästen vor allem wegen der authentischen russischen Küche, die letztens sogar Meißens OB Olaf Raschke ein Lob abrang.
Auf der Speisekarte steht beispielsweise der „Bojarenschmaus, ein mit Schweinefleisch, Kartoffeln und Pilzen gefülltes Brot, das mit Käse überbacken wird. „Besonders beliebt ist auch die sibirische Lammkeule“, sagt Arold. Dazu wird die Lammkeule mit Knoblauch, Speck und Zitrone gespickt und vor dem Braten drei bis vier Tage lang eingelegt. Trotz ihrer Einzigartigkeit in Meißen sind diese Gerichte nicht so beliebt wie die deutschen Klassiker Schnitzel, Roulade und Sauerbraten. „Früher hatte ich eine ganze russische Karte“, sagt der Wirt. Doch für die besonderen Gerichte musste er viele Zutaten vorhalten, was sich bei der spärlichen Nachfrage nicht gelohnt hatte. So blieb es bei einer kleinen Auswahl.
Die Frage, woher er denn so gut russisch kochen könne, kann Frank Arold sehr einfach beantworten. „Ich habe selbst sieben Jahre in Russland gelebt“, erzählt er, „da bekommt man einiges mit.“ 1983, mit damals 26 Jahren, wurde der gelernte Koch in die Sowjetunion delegiert. Dort baute die DDR rund 300 Kilometer südlich von Moskau eine Erdgastrasse, organisiert von der Freien Deutschen Jugend. Die Trasse sollte vom Nordwesten Sibiriens bis nach Mitteleuropa führen. Für dreieinhalb Jahre war Frank Arold dort und kochte für die deutschen Bauarbeiter. „Es gab Früh- und Abendbuffet, zweites Frühstück, Vesper und drei Gerichte zum Mittag vorzubereiten“, sagt er. Die Küche war rund um die Uhr besetzt und jeder der bis zu 3 000 Arbeiter durfte so viel essen, wie er wollte. Das war auch nötig, denn die jungen Leute arbeiteten in 12-Stunden Schichten an sechs Tagen in der Woche.
Dort gab es zwar vor allem deutsche Küche – Schnitzel, Roulade und Gulasch. Hin und wieder kamen aber auch russische Gerichte auf den Tisch, insbesondere Pelmeni und Piroggen. Die Zutaten, Konserven und länger haltbare Lebensmittel, wurden aus der DDR geliefert, nur Frischware wurde vor Ort eingekauft.
Die Pelmeni haben es sogar in die Karte des Meißner Hofs geschafft. Die sind auch weiterhin hausgemacht, allerdings nicht von Frank Arold. „Das ist mir ehrlich gesagt zu fummelig, Dutzende winzige Teigtaschen zu füllen“, sagt er. Die macht seine Frau Tatjana, der zweite Grund für die authentische russische Küche im Lokal. Sie stammt aus dem Vorgebirge des Urals, Arold lernte sie 1990 bei seinem zweiten Russland-Aufenthalt kennen und überzeugte sie, mit ihm zusammen in das frisch vereinigte Deutschland zu kommen. Doch sie arbeitet nur gelegentlich mit im Restaurant – für zwei Leute würde es nicht genug abwerfen.
„Es ist schade, dass so wenige Leute die Gasse entlangkommen“, sagt er Wirt. Alles konzentriere sich auf die Elbstraße und den Dom. Zudem sei russische Küche wenig beliebt: „Wenn ich ein Italiener oder Grieche wäre, würde das anders sein, weil die Leute das aus dem Urlaub kennen“, sagt Arold. Gerade erst kam der Bescheid, dass die Sanierung des Hauses ausgesetzt wird. „Das ist gut für mich, in drei Jahren gehe ich in Rente, dann kann ich bis dahin ungestört weiterkochen“, sagt Frank Arold.