Von Alexander Müller
Nein, bisher hatte Jan Witte-Kropius nichts mit Pirna zu tun, und er ist schon gar nicht „von hier“. Er kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Für die alteingesessenen Einwohner ist das meist sofort ein Grund zur Skepsis. Und dann will dieses Nordlicht auch noch Pirnaer Geschichte erzählen, noch dazu auf dem zentralsten Punkt, den die Stadt hat, dem Marktplatz? Ziemlich dreist, möchte man meinen. Und trotzdem ist es wahr. Und vor allem – trotzdem macht er es gut.
Jan Witte-Kropius ist der Sieger des Wettbewerbs für die neue Brunnenskulptur am Untermarkt. Sein Entwurf „Pirnaer Marktschiff“ galt den Juroren als die künstlerisch spannendste Idee, als das am stärksten erzählende Moment. Das zusätzliche bronzene Buch auf dem Sockel des früheren König-Albert-Denkmals mit Hinweisen auf die Stadtgeschichte mache den Entwurf rund, so die einhellige Meinung.
Nun kam Jan Witte-Kropius persönlich vorbei und zeigte, dass er inzwischen sehr viel über Pirna weiß, viel mehr, als die meisten Pirnaer. „Als ich die Ausschreibung gesehen habe, habe ich mich mit der Stadtgeschichte befasst“, sagt der Künstler. Er stieß dabei auf die „Pirnaer Sagen und Geschichten“ des Justizrats Dr. Flachs von 1918. In diesem Buch ist auch der Liedtext „Das Marktschiff“ von Benjamin Flachs um 1875 enthalten, der ein Stimmungsbild des Verkehrs auf der Elbe von Pirna nach Dresden zeichnet. „In der von mir entworfenen Plastik vereint das Marktschiff in Form eines stilisierten, den Formcharakter des Brunnenbeckens aufgreifenden Elbe-Raddampfers Figuren aus dem Liedtext und aus Pirnaer Sagen und Geschichten – künstlerisch frei interpretiert“, erläutert Jan Witte-Kropius.
So findet sich am Bug das Wappen Pirnas („der Löwe seine Pfote regt“, Strophe 5), der Schiffer zieht das Brett herein (Strophe 6), vom Erzbischof wird ans Morgenlied gedacht (Strophe 9), zwei Frauen sind in der neuesten Mode der Gründerzeit gekleidet (Strophen 17,18,26), der „Trompeter aus Pirna“ hat eine dramatische Fahrt auf einer Eisscholle überstanden und der Pirnaer Bürgermeister Volckamer hatte den „Traum vom Klosterschatz“. Auch der Ablasshändler Johannes Tetzel, Gegenspieler Luthers, ist mit auf dem Schiff und erteilt einem Sünder die Absolution. Mit seinen drei Säcken versucht „Der Pesthändler bei Pirna“, als blinder Passagier das Marktschiff zu erklimmen, zwei Männer sind beim „Schlingen“ und Diskutieren (Strophen 7, 10, 23 ff.), die Marktfrau hat eine Birne aus dem Korb genommen und drückt ein Geldstück hinein (Strophen 11,12), und am Heck dreht sich das Rad, das Wasser fließt, der Elbdampfer fährt weiter, immer weiter – ein Gleichnis der Zeit.
Spannende Geschichte also, die es lohnt, noch einmal nachzulesen, zum Beispiel bei einem Besuch der Stadtbibliothek. Die Skulptur ist gedacht als Brunnenplastik, die mittig im historischen Brunnenbecken auf den bestehenden bzw. zu erneuernden Zuflussstutzen montiert werden soll. Das Wasser soll als breiter Fächer unterhalb der Skulptur diese optisch tragen – schwimmend in Fahrt halten.
Die Bronzeskulptur wird etwa 1,70 Meter hoch, 1,25 Meter breit und 60 Zentimeter tief. Jan Witte-Kropius schätzt, dass sie etwa 60 Kilogramm schwer sein wird. Im kommenden Frühjahr soll sie fertig sein und montiert werden.