Von Ulf Mallek
Das breite Bowie-Messer ist original Wild-West und ziemlich scharf. Jürgen Haase zieht es aus der Scheide. Der Stahl blitzt. „Eines von vielen Abschiedsgeschenken“, sagt der 48-jährige Schauspieler. Eine verzierte Friedenspfeife ist auch dabei, ein Wampun (mit indianischen Zeichen bemaltes Leder) und vor allem Fotos. Viele, viele Fotos aus den 24 Jahren, in denen Jürgen Haase jeden Sommer auf der Felsenbühne Rathen stand und erst den Winnetou, später den Old Shatterhand spielte.
Moritz musste weinen
Haase geht zu seiner Espressomaschine, die gemeinsam mit einem Notebook und einem Plasmabildschirm-Fernseher die modernen Akzente in der Wohnküche des alten Winzerhauses in Gauernitz setzen. Ansonsten dominiert Holz. Alte Schränke und Tische. Der Espresso zischt in die Tasse. „Ist viel gesünder, weil sich die Gerbstoffe nicht so entfalten“, sagt Haase.
Der Abschied von seiner sommerlichen Rolle hoch zu Pferd in der Sächsischen Schweiz fällt ihm schwer. Sein 16-jähriger Sohn Moritz hat einen Teil seiner Kindheit in Rathen verlebt, als Komparse gemeinsam mit dem Vater gespielt. Nach der letzten Vorstellung am 10. August hatte er Tränen in den Augen. Treue Fans hielten ein Laken hoch, auf dem geschrieben stand: „Wir werden euch vermissen!“
Am meisten ärgert sich Haase über die Art und Weise seines Abganges. Sein Vertrag und der des Winnetous Jean-Marc Birkholz wurden einfach nicht mehr verlängert. „Wir wurden von den Landesbühnen abserviert“, sagt Haase. In einem Jahr hätte er ohnehin aufgehört. Die Gelenke schmerzen, Arthrose steckt in den Knochen, die Schulter ist kaputt, der Bezips-Muskel war angerissen. Spuren der jahrelangen Kämpfe gemeinsam mit Winnetou gegen die Bösewichter. „Jetzt kann ich wieder richtig Sommerurlaub machen“, sagt Haase und zündet sich ein Zigarillo an. Er rauche aber nur wenig, sagt er.
Haase schaut aus der geöffneten Haustür hinaus auf die Wiese, den Hang und die Bäume. Sein Terrier Biene liegt im Gras und Kater Paule spaziert über die Sitzgarnitur. Das Haus ist das letzte linkselbische Winzerhaus. Haase wohnt seit 200 zur Miete hier.
„Ich liebe die Ruhe, die Natur“, sagt Haase. „Im Winter höre ich den Schnee fallen. Er knistert leise. Im Sommer zwitschert die Nachtigall.“ Haase wohnt allein in dem Haus. Seine Kinder sind oft zu Besuch, sie leben mit ihrer Mutter in der Nachbarschaft, in Scharfenberg.
In seiner Freizeit setzt er sich gern mal aufs Motorrad. Er kaufte sich kürzlich eine Honda CBF 1000. Die Kurven in den linkselbischen Bergen und Tälern kennt er inzwischen recht gut. Beruflich muss er sich nicht sorgen. Mit dem „Zwingertrio“ verfügt er über eine solide wirtschaftliche Basis. Im nächsten Jahr steht der 25. Geburtstag des Trios an. „Tom Pauls, Peter Kube und ich sind am Überlegen. Es wird keine so große Feier geben wie zum 20., aber schon Überraschungen.“ Ziemlich geradlinig hat sich die Zusammenarbeit mit der Dresdner Staatsoperette entwickelt. Nach der „Schönen Helena“ steht im nächsten Jahr die Premiere von „Ritter Blaubart“ an. Wenn das Zwingertrio mitspielt, ist das Haus immer ausverkauft.
Kein Neid auf Tom Pauls
Dass sich Tom Pauls zum Star entwickelt hat und er nicht so, stört Haase nicht. Bloß keinen Neid. „Schlimm ist nur, dass ich mit Tommy in keine Kneipe mehr gehen kann“, sagt Haase. Er selbst sieht sich weniger als Komödiant, er ist Schauspieler. Deshalb war er ja auch so gern der Old Shatterhand, hat sich gequält mit Hanteltraining, mit Joggen und Radfahren. Ein Old Shatterhand muss auch so aussehen, kann nicht schlaff und mit Wampe daher kommen.
Seine Zukunft sieht Haase recht deutlich vor sich. Neben dem Zwingertrio und verschiedenen Projekten (beispielsweise ein Soloprogramm mit Ralf Herzog) befasst er sich mit neuen Ideen. Haase als Regisseur, als Drehbuchautor, als Produzent? „Als Ersatz für die ausgefallene Felsenbühne Rathen habe ich schon was im Auge“, sagt er. „Ein Freilichtprojekt.“
Der Hund Biene schüttelt sich und trabt ins Haus. Eine Hornisse fliegt vorbei. „Hornissen sehen nur so aus, sind aber nicht gefährlicher als Wespen“, sagt Haase. „Und sie stehen unter Naturschutz.“