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Ein Ständchen vom Schornsteinfeger

Glücksbringer haben es auch nicht immer leicht. Von wegen allseits beliebt – an den Alltag als Schornsteinfeger hat Karsten Kellmer andere Erinnerungen. Freude über seinen Auftritt haben nur wenige Kunden...

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Von Doreen Hübler

Glücksbringer haben es auch nicht immer leicht. Von wegen allseits beliebt – an den Alltag als Schornsteinfeger hat Karsten Kellmer andere Erinnerungen. Freude über seinen Auftritt haben nur wenige Kunden gezeigt, viel öfter bekam er zu hören, warum denn sein Angebot so teuer sei, und ob er ihnen schon wieder aufs Dach steigen müsse. Und Karsten Kellmer ist auf unzählige Giebel geklettert, seit er mit 16 Jahren entschied, seinem Vater nachzueifern und sich zum Essenkehrer ausbilden zu lassen. Er war lange für einen Bezirk im Kreis Bautzen verantwortlich, später zog er nach Radebeul, jetzt lebt er in Dresden.

Schornsteinfeger ist er immer noch, aber mit verändertem Aufgabenbereich. „Ich mach jetzt mehr so die Glücksstrecke“, sagt er. Es gibt keine einsamen Schichten auf Dächern mehr. Kellmer kümmert sich seit drei Jahren lieber um die schönen Seiten des Lebens: Hochzeiten, Geburtstage, Jubiläen, alle Anlässe eben, zu denen man Glück wünscht und gern ein Ständchen hört. Zwei Punkte, die der geschäftstüchtige Feger als Präsent-Paket verbunden hat, denn wenn er etwas noch länger hat als seinen Beruf, dann ist es seine Posaune.

Das Instrument spielt er seit er zehn ist, zuerst in Chören und Bands. „Blechbläser treten ja meist im Rudel auf“, sagt der 42-Jährige. Dabei wäre es vermutlich geblieben, wenn er nicht eines Tages in anderer Funktion gebucht worden wäre. Ein Bekannter bat ihn ausnahmsweise nicht um eine Reinigungsgefälligkeit, sondern darum, seiner Oma als Glücksbote ein Geschenk zu überreichen. Kellmer absolvierte den Auftritt, kam sich aber seltsam vor – mit quasi leeren Händen einem wildfremden Menschen zu gratulieren. Er dachte weiter, kam auf seine Posaune und ein vollkommen neues Geschäftsfeld.

Schwitzen in Programmlücken

Mittlerweile ist er ein etablierter Ständchen-Spieler und hat Auftritte in ganz Deutschland absolviert, vor Gesellschaften von Guben bis Görlitz in sein Instrument geblasen. Sein Repertoire deckt mittlerweile gut eine Stunde ab und reicht vom Türkischen Marsch über „Hoch auf dem gelben Wagen“ bis hin zu „Love me tender“. An seinem Auftritt hat Kellmer gefeilt und geprobt, nachdem die ersten Termine keine Selbstläufer waren.

Mit Grauen erinnert sich der Schornsteinfeger „an einen Horrortrip aufs Dorf“. Er kam in einem Gasthof an und trat vor eine Gesellschaft, die stumm an den Tischen saß und ihn anstarrte. Alles wartete auf das Essen, und der Schornsteinfeger sollte die Programmlücke füllen. Momente, in denen der Posaunist durchaus ins Schwitzen kommt, so ganz allein vor Hunderten Augen und Ohren. Lieber sind ihm die unkonventionellen Momente: der Augenblick, wenn er ein Paar, das aus dem Standesamt kommt, oder eine Partyrunde in einer Gartenlaube überrascht.

Kellmer ist ein Experte für Feier-Kultur geworden, hat von der Grünen bis zur Goldenen Hochzeit fast alles miterlebt und ist dabei auf die unterschiedlichsten Menschen gestoßen. Er war mit seiner Posaune schon der lauteste Gast auf schweigsamen Feiern, aber schon am nächsten Tag wurde sein Instrument von singenden Geburtstagskindern übertönt. Zurück aufs Dach möchte er nicht. Er bleibt viel lieber auf dem Boden, tanzt auf allen Festen und kehrt nur noch eine Esse regelmäßig – den Schornstein auf seinem eigenen Dach.

www.schornsteinfeger-posaune.de