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Ein Wunder kommt mit etwas Verspätung – der Tonfilm

Der 11. März 1930 um18.15 Uhr ist ein äußerst denkwürdiges Datum in Freitals Kinogeschichte.

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Von Heinz Fiedler

Was für eine Sensation! Als in den Flimmerdielen der Welt die lebenden Bilder plötzlich sprechen, lachen, weinen, singen und der jeweiligen Situation angepasste Geräusche von sich geben, halten Tausende Kinofreunde das Ganze für ein Wunder. Der Tonfilm braucht nicht lange, um sich durchzusetzen. 1927 taucht er erstmals in den USA auf, die Hollywood-Produktion „Jazz-Singer“ erobert auch die europäischen Kinos im Sturm.

Trotzdem gibt es in den Staaten auch Skepsis und Gegenwehr. Der große kleine Chaplin zum Beispiel glaubt zunächst weiter an die Zukunft des Stummfilms. Er wird sich bald revidieren müssen. Prominente Stummfilmstars, die über keine Mikrofonstimme verfügen, kämpfen verbissen gegen die Neuheit. Es hilft ihnen nichts, über Nacht geht ihre Leinwandkarriere zu Ende.

1930 kommt das endgültige Aus für die Stummfilmära, auch in Freital. Hatten sich Dresdner Großkinos schon Ausgang 1929 Tonfilmtechnik zugelegt, so zögerten die Kinochefs des Plauenschen Grundes vorerst noch – man will erstmal die Entwicklung abwarten. Viel Zeit bleibt ihnen nicht. Der stumme Film bringt ständig weniger Leute in die Spielstätten. Als erstes Kino zieht die Capitol-Direktion die Konsequenzen.

Das Capitol, 1926 aus dem Lagerschuppen einer Ofenfabrikation hervorgegangen, kann in jeder Beziehung mit den führenden Dresdner Lichtspielhäusern konkurrieren. Markant die Fassade, geradezu pompös die blau gerahmte Bühne mit dem schweren dunklen Vorhang. Wird der Hauptfilm eingegongt, leuchtet vielfarbiges Rampenlicht auf. Platzkapazität: 850, davon 350 Rangplätze. Im Vorfeld der Tonfilmpremiere berichtet das Freitaler Tageblatt unter der Schlagzeile „Sehen, hören, staunen!“: „Nach reiflicher Überlegung hat sich der Inhaber des Kinos dazu durchgerungen, in seinem Theater eine Tonfilmapparatur aufzustellen, sodass wir nun in Freital die neuesten tönenden Filme miterleben können.“

Handlung auf Raten

Drei Tage später erscheint ein großflächiges Inserat: „Capitol bittet am 11. März 1930, 18.15 Uhr, die einheimischen Filmfreunde zum Freitaler Tonfilmstart. Es läuft die Tobis-Produktion ,Dich hab ich geliebt´ – ein Film der tiefen menschlichen Empfindungen mit einem Ensemble hervorragender Darsteller wie Mady Christians, Trude Berliner, Hans Stüwe und dem vierjährigen Kinderstar Marion Conradi. Ein überall begeistert aufgenommener Tobis-Tonfilm.“

Natürlich strömen die Freitaler. Zu den ersten Vorstellungen müssen viele Besucher mit einem Stehplatz vorlieb nehmen. Das Publikum ist sichtlich beeindruckt. Etliche Besucher äußern sich euphorisch, die Übertragung sei besser als die in Dresdner Lichtspielhäusern. Indes, es gibt zu jeder Vorstellung zum Ärger des Publikums aller 15 Minuten eine Kunstpause. Das Übel liegt darin begründet, dass im Capitol nur ein Vorführapparat zur Verfügung steht. Ist ein Akt abgelaufen, muss erst einmal die nächste Rolle eingelegt werden. Dennoch hält der starke Zuspruch an. Die Direktion lässt erneut einige tausend Mark für einen zweiten Apparat springen. Fortan gibt´s keine Handlung auf Raten mehr.

Kinos stehen unter Zugzwang

Der Spielplan ist ganz auf den Geschmack des Publikums abgestimmt. Da läuft Willy Fritschs erster Tonfilm „Melodie der Herzen“. Boxidol Max Schmeling schäkert in „Liebe im Ring“ mit der schönen Olga Tschechowa. Tenor Richard Tauber ist mit dem Melodram „Ich glaub nie mehr an eine Frau“ vertreten. „Der unsterbliche Lump“ mit Liane Haid und Gustav Fröhlich wird auch in Freital zum großen Kassenschlager.

Die angebrochene Tonfilmzeit im Capitol versetzt die anderen Kinos in Zugzwang. Wer sich jetzt noch an den Stummfilm klammert, riskiert die Pleite. Schweren Herzens ziehen andere Spielstätten nach. Die Inhaber von „Imperial“, Lange Straße, und „Metropol“ müssen zum Teil Geld borgen, um die kostspielige Technik erwerben zu können. Hat man sich schließlich mit neuen Modellen ausgestattet, sieht man sich mit akustischen Problemen konfrontiert.

Im „Imperial“ zum Beispiel „mulmt“ der Ton derart, dass man kaum etwas versteht. Zu dunkle Töne trüben die Qualität im „Metropol“. Mit an den Wänden abgespanntem Dekostoff lassen sich die Mängel nur bedingt beheben. Keine Sorgen muss man sich hingegen im Capitol und Zentrum machen, hier kommt der Ton einwandfrei.

In einem Jahr wird das weltweite Wunder in Freital 80. Hoffen wir, dass dann in unserer Stadt noch immer der Hauptfilm läuft.