Eine alte Hassliebe ist neu entflammt

Von Dominik Straub, Rom
Matteo Salvini hat sich furchtbar aufgeregt: „Das ist eine Haltung, die einfach ekelhaft ist“, erklärte er. Grund für seinen Ausbruch war ein Artikel in der Zeitung Die Welt vor zwei Wochen. Darin warnte der Autor davor, dass die Mafia in Italien nur darauf warte, dass die EU auf Kosten der deutschen Steuerzahler Milliarden in das Belpaese leite. Die Deutschen sollten sich gefälligst „den Mund spülen“, ehe sie so über Italien redeten. „Ihr habt euch bereichert mit der Einheitswährung, dem Euro, der Euch und Euren Unternehmen auf den Leib geschneidert ist, und jetzt haltet ihr uns Moralvorträge“, erregte sich der Chef der rechtsradikalen Lega.
Dass sich die Deutschen – und auch die Österreicher und die Holländer – als Chef-Buchhalter und Schulmeister der EU aufführen, während in Italien die Toten mit Militär-Lkws abtransportiert werden, empfinden viele Italiener als egoistisch. Die Ablehnung von gemeinsamen Anleihen hat in Italien den alten Abwehrreflex gegenüber dem arroganten „deutschen Hegemon“ wachgerufen: Die EU werde von den Interessen Berlins gelenkt; der gemeinsame Markt sei letztlich nichts anderes als eine Art „Großdeutschland 2.0“
Wie verlogen Salvinis Propaganda gegen Deutschland und die EU ist, zeigt sich daran, dass seine Lega im EU-Parlament gegen die Einführung von Corona-Bonds gestimmt hat. Auch die größte Regierungspartei, die ebenfalls europaskeptische und populistische Fünf-Sterne-Bewegung, hat gegen europäische Hilfen votiert: Die Grillini stimmten gegen den von Frankreich vorgeschlagenen Wiederaufbaufonds, weil mit diesem stillschweigend auch ESM-Kredite in Kauf genommen würden.
Das groteske Verhalten des wichtigsten Regierungspartners hat die Verhandlungsposition von Premier Giuseppe Conte beim EU-Gipfel am Donnerstag nicht gestärkt – im Gegenteil. „Was die Lega und die Fünf Sterne in Straßburg geboten haben, ist ein tragikomisches Spektakel“, findet der Ex-Ministerpräsident und ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti. Ausgerechnet diejenigen Parteien, die vorgeben, das nationale Interesse über alles zu stellen, hätten dieses mit Füßen getreten – um mit ihrer Hetzkampagne gegen Deutschland und die EU Stimmen zu gewinnen. Damit hätten sie aber nur alte Vorurteile gegenüber Italien bestätigt.
Katalysator für alte Vorurteile
Letztlich ist die Diskussion um die Corona-Bonds zum Katalysator alter Animositäten und Vorurteile zwischen den beiden Nationen geworden – von Klischees, die Jahrzehnte überdauert haben und die auch in Deutschland in diesen Tagen vor allem von EU-Gegnern und Nationalisten gepflegt werden. Artikel wie jener in der Zeitung Die Welt bestätigt viele Italiener in ihrem Gefühl, von den Deutschen zu unrecht als arbeitsscheu, verschwenderisch und mafiös wahrgenommen zu werden.
Aber von faul kann in Wahrheit keine Rede sein: Laut OECD beträgt die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit in Italien 1.779 Stunden, während sie bei den Deutschen bei 1.371 Stunden pro Jahr liegt. Als besonders beleidigend empfinden es die Italiener, wenn ihr Land mit der Mafia gleichgesetzt wird. Der allergrößte Teil der Italiener sind keine Mafiosi, im Gegenteil: Im jahrzehntelangen Kampf gegen die Clans haben schon unzählige Richter, Polizisten, Staatsanwälte, Unternehmer, Priester, Journalisten und engagierte Privatpersonen ihr Leben verloren.
Das deutsch-italienische Verhältnis war schon immer ein kompliziertes; es ist von gegenseitiger Wertschätzung und gleichzeitig von tiefem Argwohn geprägt. Man könnte es auf folgenden Punkt bringen: Die Deutschen lieben die Italiener (für ihren Lebensstil und ihr schönes Land), aber sie respektieren sie nicht. Die Italiener wiederum respektieren die Deutschen (für ihre Perfektion und ihre Organisation), aber sie lieben sie nicht. Als das Magazin Der Spiegel im Jahr 2006 vor dem WM-Halbfinale Italien–Deutschland wieder einmal das Klischee der faulen und schlaumeierischen italienischen Muttersöhnchen bediente, erklärte der Mittelfeldstar Gattuso aus dem armen Kalabrien: „Solche Sprüche beleidigen weniger mich selber als Millionen Italiener wie meinen Vater, der zwölf Stunden am Tag hart gearbeitet hat für einen Monatslohn von 1.000 Euro.“
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