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Eine Gänsehaut nach der anderen

Das war ein irres Erlebnis. Ich habe eine Gänsehaut nach der anderen bekommen.“ Bärbel Kramer, die Leiterin des Reichwalder Kindergartens, kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus, wenn sie von dem Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ erzählt.

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Von Katja Mielcarek

Das war ein irres Erlebnis. Ich habe eine Gänsehaut nach der anderen bekommen.“ Bärbel Kramer, die Leiterin des Reichwalder Kindergartens, kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus, wenn sie von dem Projekt „Spielzeugfreier Kindergarten“ erzählt. Neun Wochen lang haben die 20 Kinder und drei Erzieherinnen sämtliches Spielzeug im Kindergarten in den Keller verbannt. Der Zweck der ganzen Aktion? Die Kinder sollten sich auf die Kommunikation untereinander, auf ihre Interessen und Bedürfnisse konzentrieren, ohne durch das vorhandene Spielzeug quasi vorprogrammiert zu werden.

Ein solches Projekt funktioniert nicht ohne die Unterstützung der Eltern. „Wir sind in der glücklichen Lage, ganz tolle, aufgeschlossene Eltern zu haben, die Anteil daran nehmen, was im Kindergarten passiert“, sagt dazu Bärbel Kramer. Daher sei das Interesse von vornherein groß gewesen.

Schon allein das Ausräumen der Spielsachen war ein Erlebnis, erzählen die Erzieherinnen. „Die Kinder haben gemeinsam überlegt, zusammen gearbeitet, sich gegenseitig Hilfestellung gegeben – es war total beeindruckend.“ Besondere Lieblings-Spielzeuge haben schon mal eine ganze große Kiste für sich allein bekommen, hat sie beobachtet.

Ganz ohne Ängste sind die Erzieherinnen nicht in das Projekt gegangen. „Wir hatten schon Sorgen, dass gerade die Krippenkinder gar nicht mehr in den Kindergarten wollen, wenn da kein Spielzeug auf sie wartet“, sagt Erzieherin Ingrid Piesker. Aber davon war dann letztlich nichts zu merken. „Es gab ja noch Wasser, Sand und Pappkartons, das Wetter hat auch mitgespielt – die Kinder haben nichts vermisst, gar nichts anderes verlangt.“ Auffallen sei gewesen, dass sie viel mehr miteinander geredet hätten.

Auch die Aufgaben der Betreuerinnen hatten sich in den neun Wochen verändert. Animation war nicht länger gefragt. „Wir haben ganz beobachtet, was die Kinder wollten, und haben dann vorsichtige Unterstützung gegeben“, schildert Bärbel Kramer. „Ganz wichtig war aber, dass die Kinder immer das Gefühl hatten, ihre eigenen Ideen zu verwirklichen.“

Aaron, Lena (beide vier Jahre) und Hanna (fünf Jahre) fanden die neun Wochen ohne Spielzeug „toll“. Sie stürmen gleich vor in den Keller, wo ein Großteil des Spielzeugs immer noch lagert, wollen unbedingt zeigen, wie viel sie doch weggeräumt haben. „Durch diese Aktion hat der Keller seinen Schrecken verloren“, sagt Ingrid Piesker. „Jetzt gehört er ganz selbstverständlich zum Kindergarten dazu.“

Vom Keller geht es gleich weiter in den Garten. Hier liegen die Plastikrohre, die zu beliebten Spiel-Utensilien geworden sind und die natürlich unbedingt vorgeführt werden müssen. Aber es ging auch ganz ohne Hilfsmittel: „Ich werde nie vergessen, als sich fünf Kinder nebeneinander auf eine Decke gesetzt und sich vorgestellt haben, sie säßen im Auto“, erinnert sich die Leiterin des Kindergartens. „Sie haben sich mit aller Sorgfalt gegenseitig an- und abgeschnallt, sich über den Verkehr unterhalten, einen Parkplatz gesucht ... – es war total irre.“ Und ähnliche Erlebnisse habe es mehrere gegeben.

Mittlerweile hat zumindest ein Teil der Spielsachen den Weg in den Kindergarten zurückgefunden – aber längst noch nicht alles. „Durch diese Aktion ist uns erst einmal klar geworden, wieviel Kram sich angesammelt hat“, sagt Bärbel Kramer. „Jetzt werden wir ab und zu das Spielzeug mal austauschen, aber sicher nicht mehr alles auf einmal in Gebrauch haben.“

Auch wenn der Elternabend mit der Schlussbesprechung des Projektes erst noch ansteht: Die ersten positiven Signale von Muttis und Vatis gab es schon. Ingrid Piesker: „Wir hören immer wieder, dass die Kinder jetzt auch zu Hause länger und intensiver spielen, ihre Spielsachen besser behandeln und mehr Ordnung halten.“ Gründe genug, um dieses Projekt auch in den kommenden Jahren zu wiederholen, finden die Erzieherinnen.