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Eine Grenze kehrt zurück

Vor fast acht Jahren trat Tschechien dem Abkommen von Schengen bei. Seitdem hieß es: Freie Fahrt, nicht nur nach Prag. Seit gestern erinnert wieder vieles an die alten Verhältnisse.

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© Ronald Bonß

Einhundert, achtzig, sechzig, vierzig, dreißig, zwanzig. Tempolimits im Stakkato-Takt. Kaum hat man von Tschechien aus die deutsche Autobahn 17 erreicht, verengen Verkehrsschilder und Warnbarken die Fahrspuren. Die blauen Container der ehemaligen provisorischen Grenzkontrollstelle am Rastplatz „Heidenholz“ bei Börnersdorf kommen in Sicht. „Ihren Ausweis bitte“, verlangt die Stimme eines Bundespolizisten durch das heruntergedrehte Fahrerfenster.

Bundespolizist Andre Kreische winkt am Grenzübergang Zinnwald einen Mercedes heraus. Pikant: Die alte Zollanlage wird Asylunterkunft.
Bundespolizist Andre Kreische winkt am Grenzübergang Zinnwald einen Mercedes heraus. Pikant: Die alte Zollanlage wird Asylunterkunft. © Andreas Weihs

Diese Szene wird wohl wieder Alltag werden in der nächsten Zeit. Nur ein Jahr lang hatte man hier oben auf dem Erzgebirgskamm kontrolliert, von der Fertigstellung und Eröffnung des letzten A 17-Teilstücks bis zum Beitritt der Tschechischen Republik in den Schengen-Raum am 20. Dezember 2007. Fast acht Jahre später werden nun Schritt für Schritt und stichprobenartig an den 21 sächsischen Übergängen zu Tschechien wieder Grenzkontrollen eingeführt.

„Wir leisten damit einen Beitrag, um wieder Ordnung in die Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu bekommen“, sagt Sachsens christdemokratischer Innenminister Markus Ulbig. Zwar liege der Schwerpunkt der Kontrollen weiter an der bayerisch-österreichischen Grenze, doch die Maßnahmen würden helfen, den Bundesländern Zeit zu geben, um ihre Erstaufnahmekapazitäten auszuweiten. Die Kontrolle an der einzigen Autobahn zwischen Sachsen und Tschechien sei nur „stationär“ vorgesehen, betont der Minister. Soll wohl heißen: vorübergehend.

„Wie schon beim G7-Gipfel im Mai“, ergänzt Christian Meinhold. Bei den Kontrollen in Sachsen waren damals rund 110 000 Personen und 34 000 Personenwagen überprüft worden. Dabei stellten die Beamten 350 unerlaubte Einreisen fest. Bei 60 Personen, die mit Haftbefehl gesucht wurden, klickten die Handschellen. Zudem wurden zahlreiche illegale Waffen aus dem Verkehr gezogen.

Die Rückkehr der eigentlich abgeschafften Grenze währte damals nur wenige Tage. Wie lange die Renaissance der Vor-Schengen-Zeit nun dauern wird, ist trotz der „Vorübergehend“-Zusicherung des sächsischen Innenministers noch unklar. Das gilt natürlich auch für die kleineren Übergänge zu Tschechien. Seit gestern früh etwa haben Bundespolizisten auch in Hellendorf, einem Ortsteil von Gottleuba, wieder Posten bezogen und kontrollieren „anlassunabhängig“ die Fahrzeuge. Oder in Zinnwald an der Bundesstraße 170, der einst wichtigsten Verbindung ins Nachbarland vor dem Bau der Autobahn.

Es nieselt dort, und ein kalter Wind fegt durch die frühere Grenzzollanlage. Die ist – pikanterweise – mittlerweile als Flüchtlingsunterkunft im Gespräch. Erst kurz vor Mittag taucht an diesem einsamen Ort ein Kleinbus der Bundespolizei auf. Am Lenker sitzt Andre Kreische. Er und seine zwei Kollegen steigen aus, ziehen sich warme Jacken und Warnwesten über. Kreische nimmt die Kelle und schaut in Richtung Tschechien. Von Weiten rollt ein silbergrauer Mercedes heran. Er wird langsamer. Der Fahrer hält sich an die Verkehrszeichen, die die Polizei in der Nacht aufgestellt hat. Kreische winkt das Auto mit dem Glauchauer Nummernschild heraus. „Guten Tag, Polizeikontrolle. Die Ausweise bitte“, sagt er. Der Fahrer, Anfang 60, steigt aus und läuft zum Kofferraum, wo er seine Dokumente verstaut hat. Keine Auffälligkeiten. Harry Hertzsch heiße er, sagt der Autofahrer. „Die Kontrollen finde ich richtig.“ Er mache mit seiner Frau Urlaub in Altenberg und kehre gerade von einem Ausflug nach Tschechien zurück. Für Kreische und Kollegen ist das der Normalfall. Um halb sechs früh begann ihre Schicht, bis zum Mittag haben sie noch keinen Flüchtling aufgegriffen. Und Kreische glaubt auch nicht, dass sich daran etwas ändert. „Die reisen doch eher über die Autobahn ein.“

Oder über die grüne Grenze. Rentnerin Anna Mildner aus Sohland im Landkreis Bautzen hat zwar Verständnis für die Kontrollen, doch sie glaubt nicht daran, dass dies die Probleme lösen wird. „Hier bei uns im Lausitzer Bergland gibt es viele Wanderwege und Wälder. Wer kommen will, wird seinen Weg finden.“ Die 76-Jährige hatte sich gefreut, als 2007 die Kontrollkabinen verschwanden. Denn sie ist im tschechischen Schluckenau geboren, ihre Heimat liegt gleichermaßen vor und hinter der Grenze. An die erinnern nur noch ein paar Schilder und Grenzsteine, Schlagbäume und Abfertigungskabinen sind längst abgebaut. Das solle auch so bleiben, sagt Anna Mildner, setzt sich auf ihren Motorroller, den sie in Tschechien aufgetankt hat, und düst davon.

Zurück im Landkreis Sächsische Schweiz trifft man am Grenzübergang zwischen Bahretal und Petrovice auf André Schreiber und seinen Partner. Sie sind ein eingespieltes Team. Die beiden Beamten der Bundespolizei-Inspektion in Berggießhübel kennen sich seit Jahren. Viele Worte brauchen die beiden nicht. Vielmehr reicht ein Kopfnicken. So wie jetzt: Schreiber nimmt das Fernglas von den Augen, schaut zu seinem Kollegen. Der nickt zurück, macht zwei Schritte auf die Fahrbahn und hält die rote Kelle raus. Ein Auto mit Wohnwagen und dänischem Kennzeichen rollt in die Parkbucht.

Ein älterer Herr in einem bordeauxfarbenen Pullunder steigt aus. Als wäre er von besonderer Wichtigkeit öffnet der Rentner die Tür seiner kleinen fahrbaren Ferienwohnung. Wie zur Einladung holt er eine Trittleiter heraus. André Schreibers Kollege bleibt auf der obersten Stufe stehen, wirft einen kurzen Blick in die gute Stube. Verstecke böten sich in dem möblierten Anhänger gewiss einige. „Hier ist nichts“, sagt er und macht dem Seniorenpaar klar, dass sie weiterfahren können. „Das sind einfach Erfahrungen“, fügt er an. Dann nähert sich ein Smart mit Pirnaer Kennzeichen. Auch den winkt Schreiber heraus, obwohl Flüchtlinge in dem Zweisitzer wohl kaum zu vermuten sind. „Hier gilt Tempo 40. Und der war deutlich drüber“, erklärt der Polizeiobermeister, während der Fahrer nach dem Fahrzeugschein kramt. Aber vergeblich: Auch im Kofferraum wird der Mann nicht fündig. Schreibers Kollege zückt sein Handy. Der Smart-Fahrer verschränkt die Arme, schaut zum Boden, wird nervös. Doch der Anruf bei den Kollegen entlastet den Herrn: Der Kleinwagen ist tatsächlich auf die Frau des Fahrers angemeldet, so wie er es behauptet hat. Nach einer kurzen Belehrung darf auch er weiter.

Vorbereitungen auf Grenzkontrollen sind auch im Vogtland angelaufen. Dort verzeichnete die Bundespolizei einen traurigen Rekord: Sie griff allein in der vergangenen Woche 136 illegale Migranten auf, überwiegend in Zügen zwischen Plauen und Zwickau. 17 Kinder waren darunter, einige allein reisend.

Am wenigsten ist von den Kontrollen bislang an der deutsch-polnischen Grenze zu spüren. „Wir sind zwar etwas präsenter, mehr aber auch nicht“, sagt ein Beamter der Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf. Allerdings liefen bereits Gespräche zwischen seinen Chefs und der Grenzschutzabteilung in Zgorzelec. Wer weiß schon, ob die Flüchtlinge nicht eines Tages auf die Route Türkei – Bulgarien – Rumänien – Ukraine – Polen ausweichen werden.

Zusammengestellt von Carina Brestrich, Maik Brückner, Thomas Schade, Marleen Hollenbach, Ralph Schermann und Ulrich Wolf