Von Doreen Hübler
Tilo Bildhäuser ist am Sonnabend mit großem Gepäck im Alten Schlachthof angekommen. Sieben verschiedene Outfits hat er zu Hause aus dem Schrank gezogen und in eine Tasche gestopft. Damit sei er für die Nacht gerüstet, erklärt der 35-Jährige. Welch eklatante Eitelkeit. Von wegen. Der Mann denkt praktisch. „Sobald ich auf der Tanzfläche stehe, hält mich nichts mehr. Da schwitzt man irgendwann“, sagt er. „Deshalb die Wechselsachen.“
Klamotte Nummer eins ist sein Lieblingsstück, ein T-Shirt mit britischer Flagge. Nicht irgendeine, Tilos Freundin hat sie aus Tausenden Pailletten gestickt. Das muss wahre Liebe sein – zu einer Band, die seit Dekaden eine Instanz in Plattenschränken ist, mit der unzählige Menschen alt geworden und jung geblieben sind. Eine lebendige Legende, die vor allem in Dresden eine treue Fangemeinde hat. Zwei- dreimal pro Jahr treffen die Anhänger zusammen und schlagen sich bei der traditionellen World-Violation-Party zum Synthie-Pop ihrer Helden die Nacht um die Ohren. Eine dunkel getönte Familienfeier im Namen der Depeche-Mode-Rose.
Kurz vor 22Uhr ist die erste Hundertschaft bereits im Saal versammelt. Vor dem Schlachthof beginnt das Parkplatz-Gedrängel. Aus den Autos dröhnt… Na was schon, Depeche Mode natürlich, frühe Alben und späte Werke. Im Eingangsbereich hat Matthias Lindner eine kleine Ausstellung aufgebaut. Fotos der Band, ein Schwarz-Weiß-Tagebuch seiner Freizeit. Seit 1998 hat der 29-jährige Dresdner vier Welt-Tourneen begleitet, Dave Gahan und Co. dabei auf Bühnen von Moskau bis Madrid gesehen. Manchmal auch dahinter. Die Band sei eine Leidenschaft, die für manche Menschen das gesamte Leben bestimme. Auch für ihn. Er schätzt, dass ein Viertel der 1400Besucher im Schlachthof ähnlich besessen sind wie er selbst. „Böse Zungen behaupten, dass wir sogar ein Depeche-Mode-Album kaufen würden, wenn die Band darauf rülpsen würde“, sagt er und schmunzelt. „Ich glaube, sie haben Recht.“
Wiegen im Ausfallschritt
Um Mitternacht hat sich die Menschenmenge zu einem wippenden Knäuel auf der Tanzfläche im großen Saal verdichtet. Man hüpft, wiegt sich im Ausfallschritt und singt jede Zeile der Werke akkurat mit. Der DJ spielt neun Stunden nonstop Lieder von Depeche Mode, wird Veranstalter Steffen Hausdorf am nächsten Morgen bilanzieren. Er hat die Partyreihe Mitte der neunziger Jahre ins Leben gerufen, ist seitdem der Macher hinter den Kulissen. Einer, der zufrieden ist mit der Zugkraft der Veranstaltung. „Es kommen Menschen aus allen Ecken von Sachsen und Deutschland“, sagt der 32-Jährige.
Tilo Bildhäuser hat sich unterdessen auf einem kleinen Podest eingerichtet. Mit geschlossenen Augen tanzt er zu „Personal Jesus“, schreit den Refrain laut mit: „Reach out and touch faith.“ In der Hand hält er ein Handtuch, wischt sich damit den Schweiß von der Stirn. Das Pailletten-Shirt ist verschwunden, er hat sich umgezogen – Outfit Nummer drei ist an der Reihe.