Wie viele Kamenzer in meinem Alter bin ich eine richtige Hausgeburt. Ich kam im Juni 1953 auf der unteren Pulsnitzer Straße zur Welt. Dort wohnten meine Eltern und mein vier Jahre älterer Bruder Rolf damals. Wir Jungs unternahmen bis ins Jugendalter viel gemeinsam. Meine Eltern waren beide in der Kamenzer Keramikindustrie tätig, erst später wechselte mein Vater zur Bahn.
Da er häufig Schichtdienst hatte, war die Mutter mehr für unsere Erziehung zuständig. Aber ich erinnere mich, dass beide immer ein sehr harmonisches Verhältnis hatten, kaum stritten und sich auch über unsere Erziehung größtenteils einig waren. Was unsere Kindheit mit ihnen geprägt hat und mich heute noch prägt, war eine riesige Reiselust der Eltern. Wir waren viel mit dem Rad unterwegs, das durfte dann schon bis ins Elbsandsteingebirge sein. Oder eben mit der Bahn, denn wir bekamen ja Freifahrten. So waren wir jährlich entweder auf Rügen oder in Thüringen im Urlaub. Ein Auto stand damals nicht zur Debatte, mein Vater machte erst mit 58 Jahren seine Fahrerlaubnis. Oft habe ich auch meinen Vater in den Ferien einfach bei seinen Fahrten als Zugführer begleitet. Durch den großen Bekannten- und Verwandtenkreis haben wir auch viele gesellige Feiern erlebt; bei uns war immer etwas los. Als ich gerade mal ein halbes Jahr war, zogen wir von der unteren Pulsnitzer Straße auf die obere - ins heutige Kirchgemeindehaus. Bis zum achten Lebensjahr waren die Schillerpromenade und Umgebung mein Spielplatz. Roller-Fahren war unsere liebste Beschäftigung. Oft sind wir auch mit der Clique bis zum Hutberg hoch, dabei waren wir Jungs meistens unter uns. So erinnere ich mich auch an die tollen Faschingsdienstage, wo es zum „Klatschen“ auf den Kamenzer Markt ging. Hier trafen sich die Kamenzer Kinder im Kostüm und die Pappklatsche von Spielzeug-Lehmann gehörte zur Grundausstattung. Schön fand ich es aber auch, wenn es mit der Mutter zum Wäschebleichen auf die große Wiese an der Pulsnitzer Straße ging– dann gab es Wolf’s-Limo von gegenüber. Mit sieben Jahren bin ich auf dem Gickelsberg eingeschult worden. Ich freute mich über den kurzen Schulweg. Aber falsch gedacht: 1961 zogen wir hinunter auf die Geschwister-Scholl-Straße. Dort standen damals gerade mal acht oder neun Blöcke, der Rest war freie Natur - ideal als Abenteuerspielplatz. Und die Wohnungen waren der reinste Luxus und heiß begehrt. Da ich aber bei meinen Freunden bleiben wollte und deshalb die Schule nicht wechselte, musste ich den manchmal nicht enden wollenden Weg zum Gickelsberg weiter in Kauf nehmen. So blieb ich im Winter in mancher Schneewehe stecken. Aber gerade nach dem Unterricht, wenn wir zum Hort auf den Schlossberg stiefelten, bummelten wir Jungs ganz gern mal ein bisschen und erkundeten den Bäckerteich und das Herrental. Ich war ein ganz guter Schüler und durfte so fast immer den Leistungsstab beim Forstfest tragen. Sieben Mal war ich als Schüler bei den Umzügen dabei, acht Mal als Lehrer und seit 18 Jahren bin ich städtischerseits dafür verantwortlich. Forstfest als Herzenssache!
Aufgeschrieben von Ina Förster.