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„Einfach Bomforzionös“ 

Tom Pauls spielte sich am Donnerstag selbst im Muskauer Schloss – und die Zuschauer waren begeistert.

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Gute Laune verbreitete Tom Pauls bereits, bevor er den Festsaal des Neuen Schlosses betrat. Hier gesellt er sich mit seinem Gastgeber, dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, zum Abbild von Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau.
Gute Laune verbreitete Tom Pauls bereits, bevor er den Festsaal des Neuen Schlosses betrat. Hier gesellt er sich mit seinem Gastgeber, dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, zum Abbild von Hermann Ludwig Heinrich von Pückler-Muskau. © Foto: Steffen Bistrosch

Von Steffen Bistrosch

Bad Muskau. „Kannsde machn“, „Nicht schlecht“ und „War mal was anderes“ lauten die sächsischen Antworten auf die im hochdeutschen Sprachgebrauch üblichen Steigerungsformen für Adjektive im prädikativen Gebrauch. So weit wenigstens Tom Pauls alias Ilse Bähnerts Theorie zu verbalen Ausdrucksformen seiner eben nicht zu spontanen Gefühlsausbrüchen neigenden „Gaffeesachsen“. 

Dafür ist nur in der sächsischen Mundart, und nur dort, eine Steigerung des Superlativs überhaupt möglich. „Bomforzionös“ lautet dann der verwendbare Fachbegriff, erläutert der geladene Ehrengast. Und er sagt es öfter an diesem unterhaltsamen Abend. Pünktlich halb sieben eröffnete Michael Kretschmer, der Vorsitzende des Fördervereins Pückler-Park Bad Muskau und sächsischer Ministerpräsident, das Zwiegespräch mit Tom Pauls im Festsaal des Neuen Schlosses. Da die Plätze hier diesmal bei Weitem nicht ausreichten, wurde die Veranstaltung per Videoleinwand ins ebenfalls ausgebuchte Trauzimmer übertragen. Eingangs gratulierte Kretschmer seinem Gast nachträglich zu dessen 60. Geburtstag und zum 50. Bühnenjubiläum. Pauls kennt Bad Muskau, zwei-, dreimal war er bereits im Park. Im Neuen Schloss allerdings noch nicht. Pauls meint, fast ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, da er den schmucken Bau bislang mit Achtlosigkeit gestraft hat. Das Publikum nimmt’s mit artigem Applaus.

Tom Pauls nennt sein Lebensmotto: „Such dir ein Hobby, mach es zum Beruf und du musst nie wieder arbeiten im Leben.“ Ein echtes Leipziger Sonntagskind sei er. Hineingeboren in ein kommunistisches Elternhaus, trotzdem mit Westverwandtschaft beschert, entdeckte er beizeiten sein künstlerisches Talent.

Daten und Zahlen würzt Pauls mit Anekdoten. Wie er Klavierunterricht bei Martha Krause nahm und die gestrenge alte Dame während des Spiels immer selig einschlief, nur aufhören zu klimpern durfte er nicht. „Da habe ich das Improvisieren gelernt“, sagt er unter dem Gelächter der Anwesenden. Da er aus „politischen Gründen“ kein Thomaner werden durfte, wurde er eben Mitglied des Rundfunkkinderchores unter Leitung von Hans Sandig, dem die DDR Lieder wie „Sind die Lichter angezündet“ zu verdanken hatte. Vereinzelt sind leise „Ahhs“ und „Ohhs“ aus dem Publikum zu vernehmen. So gut fand das Pauls damals wiederum nicht, er stieg aus dem Chor aus. Mit westlicher Hippiemusik konnte er deutlich mehr anfangen.

Seinen ersten großen Auftritt hatte Tom Pauls dann in Görlitz, bei dem weihnachtlichen Straßenfeger „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ mit Margot Ebert und Heinz Quermann. Wieder Raunen im Saal. Kretschmar lädt ihn ein, bei der Wiedereröffnung der Stadthalle nach der Sanierung im Jahr, ja wann eigentlich?, erneut aufzutreten. Pauls sagt spontan zu. Irgendwann in den nächsten zehn Jahren sollte es aber dann schon sein, hoffen beide übereinstimmend.

Pauls erzählt aus jungen Jahren, als er genötigt wurde, sowohl zum Friseur als auch zur Lehre zu gehen. Seinem Vater hat er seinen Facharbeiterbrief zu verdanken. Der in Wolfen, Bitterfeld, Aschersleben, Probstheida und sonstwo praktizierte „Umgang mit aggressiven Medien“ bezog sich nicht auf Feindsender wie RIAS, sondern tatsächlich auf Säuren und Laugen oder Ähnliches. Unbeschadet hinter sich gebracht hat er das, ebenso wie die Armee, durch sein Talent, sich beizeiten einem Singeklub, Rezitationszirkel oder anderweitigen künstlerischen Ensembles anzuschließen, die ihn von den Dienstzeiten weitgehend freistellten.

Nicht nur Abbild sein

Die Schauspielschule absolvierte er hingegen freiwillig und war am Staatsschauspiel Dresden bis zur Wende fest engagiert. Während des Studiums gründete Pauls gemeinsam mit Jürgen Haase und Peter Kube das „Zwinger Trio“. Pauls wirkte in den 80er-Jahren auch in einigen DEFA-Produktionen mit. „Der Zuschauer ist immer schlauer als der Darsteller“, sagt Pauls und fügt ernst hinzu: „Die intellektuelle Leistung der Kunst beruht darauf, als ein Sinnbild die Fantasie anzuregen und nicht nur Abbild sein zu wollen.“ Fernsehen sei ihm deshalb zu doof.

Gefragt nach dem Leben vor und nach der Wende sagt Pauls: „In der Retrospektive ist alles folgerichtig, aber während der Fahrt geraten wir manchmal in eine Sackgasse.“ Pauls zitiert „Die Kokospalme“ von Lene Voigt. Voigt diente Pauls als Vorlage für seine Kunstfigur der Ilse Bähnert. Er mag nicht auf Kabarett reduziert werden und nicht reflektieren. Doppelbödigkeit hält er für interessanter als blanken Witz. Im gleichen Atemzug mimt er seinen Kommissar Manfred Strietzel und nimmt das Gelächter gern mit. Er will in die Figuren hineinkriechen, sagt Pauls, die Verwandlung ist das Interessante am Spiel. Er spricht über sein Theater in Pirna im „Peter-Ulrich-Haus“. Dort hat auch die „Ilse Bähnert Stiftung“ zur „Erhaltung und Pflege der sächsischen Kultur und Sprache“ eine Heimstatt gefunden. „Bomforzionös“ nennt er dieses Projekt. „Abenteuer, Gottes Fügung, Grandios, Freude“ – Pauls sucht passende Worte. Apropos. Das schönste sächsische Wort, das beliebteste, ein vom Aussterben bedrohtes und ein Schimpfwort. Darum kümmert sich satzungsgemäß die „Ilse Bähnert Stiftung“.

Ein paar Zuschauer mit sächsischen Vorfahren dürfen ihr Vokabular an Pauls ausprobieren. Er besteht den Test. Obwohl Leipzig und Dresden oder Pirna bei Weitem nicht das Gleiche sind. Nachäffen sächsischer Mundart schätzt er keinesfalls, genauso wenig wie sprachliche Schlampigkeit. Bekannte Mundartsprecher wie das Dresdener Urgestein Matz Griebel oder der unvergessene Gerd Fröbe mit seinem sächsisch-englischen Filmdialekt findet er dagegen beispielhaft.

Das Publikum dankt ihm den engagierten Auftritt und verabschiedet beide Protagonisten mit lang anhaltendem Beifall. Parkdirektor Cord Panning freut sich beim anschließenden Empfang im Kaminzimmer über die Resonanz, das tolle Publikum und die besondere Wohlfühlatmosphäre in seinem Haus. So gehen das Konzept und der Anspruch des Hauses perfekt auf.

Gerne wieder!

Das meinen auch die Muskauer Katrin und Frank Korte. Sie sind zum ersten Mal beim Schlossgespräch. Beide kennen Pauls vom Theater in Dresden, Kretschmar dagegen bisher nur aus den Medien. Sie sind erstaunt, wie nahe sie beiden kommen können. Sie waren bestimmt nicht das letzte Mal hier. Das meinen Anita und Holger Kubisch ebenfalls. Sie sind so oft dabei, wie es die Zeit erlaubt. Sie zeigen sich begeistert über die Slapstickeinlagen von Pauls, sie nehmen die Abwechslung vom Alltag gern mit und, klar, kommen sie wieder!

Und die Protagonisten selbst? Pauls freut sich darüber, in seinem Theater ins Gespräch mit Michael Kretschmer gekommen zu sein und heute das Gespräch fortgeführt haben zu dürfen. Und der Ministerpräsident aller Sachsen? Versucht für die Schlossgespräche eine Mischung aus interessanten Partnern des öffentlichen Lebens, aus Wirtschaft, Kunst und Kultur zu finden. Der nächste Termin und der Name des nächsten Gastes stehen noch nicht fest. Fest steht für alle sächsischen oder nichtsächsischen Besucher, es gibt Dinge im Leben, die es verdienen „Bomforzionös“ genannt zu werden. So wie dieser Abend im Muskauer Schloss.