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Von Dresden nach Bollywood

Wie die Dresdnerin Julia Klesse erst um die halbe Welt reisen musste, um endlich in ihrer Heimat ankommen zu können.

Von Henry Berndt
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Keine Frau für eine Schublade: Julia Klesse lebt das Leben mit allen Sinnen.
Keine Frau für eine Schublade: Julia Klesse lebt das Leben mit allen Sinnen. © Sven Ellger

Dresden. Es waren noch zehn Tage bis zum Abflug nach Deutschland und Julia Klesse hatte mal wieder eine spontane Eingebung. Sie würde die bleibende Zeit einfach immer wieder auf dem Boulevard im indischen Mumbai auf und ablaufen. "Ich sagte mir: Entweder ich werde jetzt noch für Bollywood entdeckt oder es geht nach Hause", erinnert sich die 35-Jährige. Also lief sie und lief und lief und am neunten Tag wurde sie tatsächlich angesprochen. Es sollte der Beginn einer kurzen aber äußerst intensiven Karriere in der größten Filmindustrie der Welt werden.

Eines machte sie dabei in Indien schon, ohne irgendetwas dafür tun zu müssen: Sie fiel auf. Blonde Frauen aus Europa sind in Indiens Straßen eine absolute Attraktion - mit einem eindeutigen Image. In ihren Filmen spielte Julia Klesse meist die Prostituierte, die den indischen Männern den Kopf verdreht. Leider strahlte sie diese Botschaft für die indischen Männer auch abseits der Kamera aus. "Ich habe schnell aufgehört, zu zählen, wie oft ich gefragt wurde: Wie viel?"

Bei einem Tagessatz von umgerechnet 8.50 Euro wurde sie mit den Drehs auch für indische Verhältnisse nicht reich - aber es erfüllte sie. Indien wecke in ihr alle Gefühle. "Ich liebe dieses Land aber es macht mich auch aggressiv", sagt sie. Kein Tag sei dort einfach normal. "Entweder es läuft monstermäßig gut oder richtig mies." Nach zwei Jahren packte sie ihre Tasche machte sich auf zum nächsten Abenteuer.

Längst passt diese Frau in keine Schublade mehr. Sie ist Yogalehrerin, Schauspielerin, Sängerin, Babymasseurin, Saunameisterin, Fitnesstrainerin, Tanztherapeutin, Cheerleaderin und zweifache Mutter, wie die Referenzen auf ihrer Website beweisen.

Das Ziel: Schauspielerin im Bollywood-Film

Für ihr eigenes Musical schlüpfte Julia Klesse noch einmal in die Rolle als indische Tänzerin.
Für ihr eigenes Musical schlüpfte Julia Klesse noch einmal in die Rolle als indische Tänzerin. © privat

Geboren wurde Julia Klesse in Dresden, "aber mich hat es schon immer in die Welt hinausgezogen". Nach einem Au-pair-Jahr in den USA begann sie 2004 ihre Schauspielausbildung in München.  Einige Zeit später führte sie ihr Weg ins Robinson-Clubhotel nach Italien, wo sie die Gäste mit von ihr choreografierten Stücken unterhielt.

Das Talent dazu wurde ihr in die Wiege gelegt. Ihre Mutter Kerstin Klesse war einst ein gefeierter Star an der Semperoper. Auch ihr Vater trat dort auf und sie selbst stand einst zusammen mit ihrer Schwester im Kinderchor bei "La Bohème" und "Tosca" auf der Bühne. "Wir haben zwar nicht verstanden, was wir gesungen haben, aber es gab Süßigkeiten", erinnert sich Julia Klesse und muss bei dem Gedanken lachen. 

Singen, tanzen und einfach kreativ sein - aber nicht zu Hause. Das war ihr einziger Lebensplan. Von Italien aus setzte sie sich 2011 in den Flieger nach Mumbai. "Einen Bollywood-Film zu drehen, stand auf meiner To-Do-Liste", sagt sie. Zuvor hatte sie Indien schon bei einem Einsatz für ein Straßenkinderprojekt kennengelernt. Sie wusste also in etwa, was sie erwartet: Viel Trubel, Planungen, die sich minütlich ändern können, 70-stündige Busfahrten zum Workshop. Kurzum: ein sympathisches Chaos. "Ich weiß jetzt, warum in Indien alle Yoga machen. Die würden sonst einen Herzinfarkt bekommen", sagt Julia Klesse.

"Das war schon irre"

Schon kurz nach ihrer Entdeckung waren Fotos von Julia Klesse in unzähligen indischen Zeitungen zu sehen. All diese Beiträge hat sie fein säuberlich in ihrem "Angeber-Ordner" abgeheftet. "Als ich in Kalkutta als Sängerin in einem Fünf-Sterne-Hotel gebucht war, hing am Eingang ein sieben mal 25 Meter großes Banner mit mir selbst darauf. Das war schon irgendwie irre." 

Nebenbei ließ sich die Dresdnerin in Kalkutta auch zum Yogalehrer ausbilden - ein Schritt, der jetzt gerade in ihrer Heimat ihre neuste Lebensetappe prägt. Nachdem sie zuletzt als alleinerziehende Mutter fünf Jahre lang die Fitnessabteilung im Robinson-Ressort in Italien geleitet hatte, kehrte sie vor acht Monaten für die Geburt ihres zweiten Kindes zurück.

Samuel ist inzwischen sechs Jahre alt, Layla lässt sich am liebsten auf Mamas Rücken tragen. Geht der neuste Plan auf, wird Laylas Papa nach dem Ende der Corona-Krise mit nach Dresden ziehen. Unabhängig davon will Julia Klesse diesmal nicht so schnell wieder weg. Wahrscheinlich habe es all die Abenteuer und Reisen gebraucht, damit sie nun endlich in ihrer eigenen Heimat ankommen kann. 

Noch ist sie in Elternzeit, baut sich aber parallel schon mal ihr neue Business auf. Die Trendsportart Stand Up Paddling verbindet sie dabei mit Yoga zu Woga, eine einigermaßen wacklige Angelegenheit, jedoch mit großem Entspannungspotenzial, wie sie verspricht. "Damit kombiniere ich das Naturerlebnis auf dem Wasser mit Yoga-Übungen." Ihre ersten Kurse bietet sie auf dem Badesee Birkwitz zwischen Pillnitz und Pirna an. 

Um die Idee schnell bekannter zu machen, bildet sie auch schon neue Woga-Lehrer aus. Auch in der Dresdner Volkshochschule ist Julia Klesse präsent, hat es mit ihrem Bild gar auf die Titelseite des Programmheftes für den Sommer geschafft.

Yoga auf dem Wasser - mit dieser Idee will Julia Klesse nun in Dresden durchstarten.
Yoga auf dem Wasser - mit dieser Idee will Julia Klesse nun in Dresden durchstarten. © privat

"Die Angebote werden super angenommen und das soll erst der Anfang sein", sagt sie selbstbewusst. "Ich will, dass in jenem Tümpel in Dresden Woga-Kurse gegeben werden."

Ganz hat sie Indien derweil noch nicht losgelassen. Erst vor zwei Jahren hat die Dresdnerin zusammen mit  einem indischen Freund den Kurzfilm "Liebe für Bhangra" gedreht. Er handelt von einer Frau in Europa, die sich auf die Suche nach ihrem kranken indischen Mann macht. "In Dresden hatte der Film bislang noch keine würdige Premiere", sagt Julia Klesse. Gern würde sie das nachholen, wenn sich denn ein Kino fände. 

Klar fehle ihr gerade die Musik und der Tanz, aber sie habe da schon einige Ideen. Ihre Schwester habe schon mit ihr gewettet, wie lange sie es diesmal in Deutschland aushalten werde. 

Julia Klesse hat vor, sie zu überraschen. "Jetzt fühle ich mich hier zu Hause", sagt sie. "Vor einem Jahr hätte ich nicht geglaubt, dass ich diesen Satz jemals sagen würde, aber: Ich bin froh, in Deutschland zu leben." 


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