Eisheilige: Winzern und Obstbauern drohen Verluste

Radebeul. Die Autoscheibe ist fest zugefroren. In der besten Radebeuler Weinlage, dem Goldenen Wagen in Oberlößnitz, herrschen am Dienstagmorgen kurz nach 4 Uhr Temperaturen zwischen minus zwei und minus drei Grad. Winzer Friedrich Aust hat hier einen seiner Weinberge. „Ich habe jede halbe Stunde aufs Thermometer geschaut. Halb fünf gab es die Entscheidung: Wir müssen Feuer machen.“ Zumal die viele Feuchtigkeit und kein Wind dem Frost beste Angriffsbedingungen bieten.
Etwa 50 Töpfe mit Docht und Wachs gefüllt – Frostkerzen – lodern zwischen den jungen Rebstöcken. Ganze zwei Jahre stehen die hier in Reih und Glied. Viel Arbeit steckt in dem wieder aufgerebten Berg. Im nächsten Jahr sollen die 900 Stöcke das erste Mal Ertrag bringen.
Doch an diesem Morgen droht das alles kaputtzugehen. Die Eisheiligen schlagen zu, wie in den letzten Jahren lange nicht mehr. Friedrich Aust hat den Temperaturfühler des Thermometers zwischen das Stroh in den Gängen gesteckt. Aller fünf Minuten sinkt die Temperatur um mindestens ein weiteres Zehntel.
Ab einem halben Grad minus sind Schäden zu befürchten. Jetzt im Mai zeigen sich schon die Blüten. Im Miniformat sind die Weintrauben erkennbar. In diesem Stadium ist Frost besonders gefährlich.
Die Dämmerung löst sich gegen 5 Uhr fast vollständig auf. Üblicherweise vermutet jeder, dass dann die Temperaturen wieder ansteigen. Doch es ist genau umgekehrt. „Jetzt füllt sich die feuchte Kälte vom Boden aufsteigend auf“, weiß der erfahrene Winzer. An bereits erwachsenen Rebstöcken lassen Winzer extra für diese Situation an der obersten Stelle des Stockes eine sogenannte Frostrute stehen – in der Hoffnung, dass es diese nicht erwischt, der Frost nicht so weit hochklettert.
In der jungen Scheurebe-Anlage sind solche Frostruten noch nicht gewachsen. Die Pflanze ist noch zart. Hier helfen nur die Frostkerzen. Und die bewirken eine gute halbe Stunde nach dem Zünden endlich etwas. Die Umgebungstemperatur nahe der Rebstöcke steigt wieder Zehntel für Zehntel.
Wenige Schritte weiter, nahe dem Eggersweg, stehen Rebreihen im Schatten und ohne Frostschutzkerzen voll in der bitteren Kälte. Winzer Aust greift in die Blätter. Sie sind voller Raureif. Ob diese mit den Blüten in den nächsten Tagen braun werden, das wird sich zeigen. Aber der Radebeuler ist sich sicher: „In den Flachlagen ohne Frostschutz wird es Schäden geben – sicher auch bei anderen Winzern.“
Die Weinbauern vom Staatsweingut Schloss Wackerbarth wollten sich ebenfalls nicht vom Frost überraschen lassen. Weinbauleiter Till Neumeister und seine Mitarbeiter sind nach Anfang April jetzt zum zweiten Mal mitten in der Nacht im Weinberg. In acht frostgefährdeten Jung- und Ertragsanlagen waren die Wackerbarth-Leute letzte Nacht im Einsatz. Weingut Sprecher Martin Junge: „Von heute Nacht bis Freitag früh leuchten die Weinbergsfeuer in Diesbar-Seußlitz, Laubach, Weinböhla und Radebeul. Dort wärmen sie insgesamt 100.000 Reben auf mehr als 20 Hektar Rebfläche. Daran sind mehr als 20 Winzer beteiligt.“
„Schneeflächen“ unter der Bosel
Wenige Kilometer weiter westwärts von Wackerbarths Ruh sind die Erdbeerfelder von Obstbauer Michael Görnitz. Wer in den letzten Tagen von der Bosel runter auf Sörnewitz geschaut hat, konnte denken, hier liegt jetzt Schnee. Görnitz: „Wir haben 20 Hektar Erdbeerfelder mit weißem Vlies abgedeckt. Das gab es noch nie.“
Fast fünf Tage hat die Mannschaft des Obstbauern daran gearbeitet. Bereits in der letzten Woche habe es erste Schäden an Erdbeerpflanzen gegeben. „Danach habe ich entschieden, dass wir abdecken“, so der Sörnewitzer. Eine Aktion, die besonders aufwendig und schwierig ist, weil die Erntehelfer aus dem Ausland immer noch nicht eingetroffen sind. Görnitz: „Zehn wurden gerade an der Grenze zurückgewiesen, obwohl sie alle Papiere dabei hatten. Jetzt fehlen diese Mitarbeiter an allen Ecken und Enden – beim Wegschneiden falscher Triebe, beim Unkrautbeseitigen. Die Not ist groß.“
Für die riesige Vlies-Fläche hat der Obstbauer rund 25.000 Euro allein an Materialkosten aufwenden müssen. Wenn die Erdbeeren erfrieren, wäre der Schaden allerdings noch viel größer. Rund 200.000 Kilogramm der roten, süßen Früchte werden von den Feldern zwischen der Cliebener Straße und der Elbgaustraße von den Erntehelfern und Selbstpflückern in den Juniwochen geerntet. Dies mal drei Euro gerechnet, wäre der mindeste Verlust.
Mit der Dienstagnacht geben sich die Eisheiligen offenbar noch nicht zufrieden. Die Wettervorhersagen sprechen auch für die Mittwoch- und die Donnerstagnacht von möglichen Minusgraden. Das Vlies bei Obstbauer Görnitz bleibt drauf. Bei Winzer Friedrich Aust und bei Wackerbarth müssen die Töpfe noch mal angezündet werden. Nur eins wird wahrscheinlich nicht mehr so schlimm: Die Feuchtigkeit könnte dann weitgehend raus sein und der Frost weniger Nahrung bekommen.