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Endstation für einen Schleuserwagen

Wenn Menschenschmuggler ihre Autos im Stich lassen, gibt es manchmal nur noch eine Lösung: die Schrottpresse.

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© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Freital. Benzindunst liegt in der Luft. Die Kia-Großraumlimousine auf der Hebebühne ist leck. Das soll so sein. Durch den angebohrten Tank läuft der Sprit in einen Plastekanister. Er läuft und läuft. „Die hatten wohl noch eine lange Reise vor sich“, sagt ein Mechaniker. Für seine letzte Reise braucht der Wagen keinen Treibstoff. Sie endet gleich vor dem Werkstatttor in einer Schrottpresse.

Die Kia-Limousine war schon vor ihrer Verschrottung nichts mehr wert. Noch benutzbare Schleuserwagen, die herrenlos sind, versucht der Staat zu verkaufen. Die Kosten fürs Abschleppen und Lagern solcher Autos können schnell in die Tausende gehen.
Die Kia-Limousine war schon vor ihrer Verschrottung nichts mehr wert. Noch benutzbare Schleuserwagen, die herrenlos sind, versucht der Staat zu verkaufen. Die Kosten fürs Abschleppen und Lagern solcher Autos können schnell in die Tausende gehen. © Norbert Millauer
Die Kia-Limousine war schon vor ihrer Verschrottung nichts mehr wert. Noch benutzbare Schleuserwagen, die herrenlos sind, versucht der Staat zu verkaufen. Die Kosten fürs Abschleppen und Lagern solcher Autos können schnell in die Tausende gehen.
Die Kia-Limousine war schon vor ihrer Verschrottung nichts mehr wert. Noch benutzbare Schleuserwagen, die herrenlos sind, versucht der Staat zu verkaufen. Die Kosten fürs Abschleppen und Lagern solcher Autos können schnell in die Tausende gehen. © SZ/Jörg Stock

Bei Auto-Walther im Radeberger Vorort Arnsdorf hat das Pressfahrzeug heute einen Großeinsatz. An die zweihundert ausgediente Wagen sollen in handliche Quader verwandelt werden. Das besorgt Uwe Franz. Hoch oben sitzt er im Steuerstand des fünfachsigen Ungeheuers und angelt mit dem Greifer die Karossen. Seine Firma ist deutschlandweit auf Achse. Früher waren solche Termine beinahe Volksfeste, erzählt Herr Franz. Jetzt sind sie Routine. Weit gereiste Zuschauer hat er selten.

Heute aber gibt es sie. Beamte der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel sind da. Sie machen ihre Handykameras startklar, um den Abgang des grünen Kia festzuhalten. Das Auto wurde als Tatmittel bei einer Schleusung sichergestellt, so wie fünf weitere Wagen, die hier auf dem Hof stehen. Sie alle haben nur noch Schrottwert und keinen Besitzer, der sich um sie kümmert. Aufheben lohnt nicht. Deshalb wurde die Verwertung angeordnet.

Einfach so fremdes Eigentum zu zerstören, geht freilich nicht. Vor der Endstation Schrottpresse hat man monatelang nach den Eigentümern der Autos gesucht. Auch wenn es aussichtslos scheint, sagt Polizeihauptkommissar Dirk Petzold, habe man die Pflicht zu ermitteln, eine „Papierlage“ zu schaffen. Die Ergebnisse trägt er in einem dicken Aktenordner unterm Arm.

Die „Misere“, wie Kommissar Petzold es nennt, geht meist dann los, wenn ausländische Wagen mit ausländischen Fahrern im Spiel sind. So wie im Fall des Kia. Der wurde im Dezember 2014 bei Breitenau gestoppt. An Bord waren fünf Syrer, hinterm Lenkrad ein Palästinenser mit ungarischer Aufenthaltserlaubnis. Für 500 Euro pro Nase hatte er seine Passagiere wohl von Wien aus nach Deutschland kutschiert. Die Syrer wurden der Ausländerbehörde übergeben, der Fahrer kam frei. Und das Auto?

Probefahrtkennzeichen und keine Papiere

Es wurde beschlagnahmt wegen unklarer Eigentumsverhältnisse. Angeschraubt waren ungarische Probefahrtkennzeichen, die den Fahrzeughalter nicht verraten. Papiere gab es zu dem Wagen nicht, wie so oft. „Da fängt man praktisch bei null an“, sagt Polizist Petzold. Mithilfe der FIN, der Fahrzeug-Identifikationsnummer, fanden die Beamten heraus, dass das Auto zuletzt einem Gaststättenbetrieb in Wien gehörte. Hatten die Schleuser es dort geklaut?

Man fragte an. Nein, die Firma hatte das Auto verkauft, an einen Verwertungsbetrieb. Anfrage beim Verwertungsbetrieb. Der hatte den Wagen weiterverkauft. Der Käufer? Ein Nigerianer namens Desmond E., der sich zeitweise in Österreich und in Ungarn aufgehalten hatte und der nun verschollen war. Da brachen die Beamten ihre Nachforschungen ab. Ein Sachverständiger der Bundespolizei hatte den Wert des Autos mit null Euro angesetzt. Aufwand und Nutzen weiteren Suchens hätten in keinem vernünftigen Verhältnis gestanden, sagt Kommissar Petzold.

Nun hat der Wagen kein Benzin mehr. Auch kein Öl, keine Räder und keinen Katalysator. Im Kat stecken kostbare Metalle, die werden extra verwertet. Ein Gabelstapler rollt heran. Er schlägt seine Hauer durch die Frontscheibe und bugsiert dann das Auto mit einiger Mühe hinaus zum Pressfahrzeug von Uwe Franz. Der hat Respekt vor seiner nächsten Aufgabe. „Oh, ein Großer!“, sagt er und deutet auf die bulligen Achsen, die fast Lkw-Format haben. Doch geht er siegesgewiss ans Werk: „Den hau’n mer schon zamm!“

Fahrzeug wird gefaltet

Dann packt der Greifer den Wagen, hebt ihn hoch in die Luft und dann hinein in die Presswanne. Von rechts senkt sich eine stählerne Planke mitten hinein in das Vehikel, das sich ächzend aufbäumt. Die Achsen zerbrechen, der Motor. Die Stabilität ist hin. Der Wagen wird nun der Länge nach zusammengefaltet. An Front und Heck schieben mächtige Zylinder mit bis zu dreihundert Tonnen Gewalt, bis der Schrotthaufen in Form ist. Die Nadel des Pressdruckanzeigers zuckt wie wild. Dann gibt der Autofresser das Ergebnis frei: ein gut drei Meter langes Paket aus Blechen, Röhren und Gestängen. Die nutzbaren Bestandteile werden in einem Stahlwerk landen, der Rest auf einer Deponie oder im Verbrennungsofen.

Die Polizisten senken ihre Handys. Sie sind zufrieden. Der Schleuser jedoch ist in dieser Sache nicht verurteilt worden. Kommissar Petzold räumt ein, dass die Kollegen enttäuscht seien, wenn trotz aller Ermittlungen harte Strafen ausblieben. Schließlich sei man mit den Fällen oft sehr stark verbunden. Doch müsse sich ein Polizist damit abfinden, es nicht in der Hand zu haben, was mit seinen Ermittlungsergebnissen passiert. „Beim nächsten Mal werden wir wieder Vollgas geben.“