Nehmt die Strommasten weg!

Wenn man das Haus von Kerstin Schlagehan oder ihrem Nachbarn Klaus Peter Liebe in Lauba sucht, muss man sich eigentlich nur an den Strommasten orientieren. Seit Jahrzehnten stehen die metallenen Kabelträger auf und nahe am Grundstück, überspannen Dächer und Gärten. Nun aber soll das anders werden - wenn es nach Kerstin Schlagehan und einigen ihrer Mitbürger geht - zumindest. Die Chance dazu sehen die Anwohner aus den Lawalder Ortsteilen Lauba und Sand jetzt gekommen. Denn die Enso will in den kommenden Jahren die Leitungen auf genau dieser Trasse erneuern.
Dass dieses Thema viele interessiert, zeigte ein Treffen, das - knapp vor dem Corona-Versammlungsverbot - etwa 40 von der Hochspannungsleitung betroffene Anwohner - zusammenbrachte. "Wir wollen nicht die Enso blockieren, wir wollen, dass nach den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Vorsorgemaßnahmen gebaut wird und nicht nach dem Stand von vor 100 Jahren", fasst Kerstin Schlagehan die Sicht der Bürger zusammen. Demnach wären Erdkabel die zeitgemäße und sinnvolle Lösung. Eine Verlegung von Erdkabeln sei bei einem Neubau von 110 KV-Leitungen gesetzlich sogar geboten, wenn die Gesamtkosten nicht das 2,75-fache überschreiten, betont Frau Schlagehan. Das diese Regelung hier nicht gelten solle, nur weil auf einer bereits bestehenden Trasse neu gebaut werde, wollen die Anwohner nicht akzeptieren.
Erdkabel haben in den Augen der Betroffenen mehrere Vorteile: Erstens fiele laut aktueller Studien die elektromagnetische Strahlung im Normalfall um zwei Drittel geringer aus als bei einer Freileitung. Zweitens wäre die Unfallgefahr mit Landwirtschaftsfahrzeugen geringer, vor der die Energieversorger stetig warnen. Drittens gäbe es mehr Schutz für Vögel, denn laut Nabu verenden viele Tiere durch Kollisionen mit Freileitungen. Und außerdem wäre es auch für das Ortsbild besser, wenn die Masten verschwinden würden, zählt Frau Schlagehan Argumente auf.
Neue Masten sind größer
Neue Masten wollen die Anwohner auch aus einem anderen Grund verhindern: Mit den neuartigen Enso-Trägern spannen sich die Leitungen nicht nur über 4,10 Meter weit nach rechts und links von der Mastachse über die Flächen, sondern jeweils 9,45 Meter. Das hieße, die stromführenden Leitungsseile rückten auf der bisherigen Trasse beidseitig 5,35 Meter näher an die Wohnbebauung heran. Für die Anwohner in diesem direkten Einwirkungsbereich der Freileitung, so argumentiert Frau Schlagehan mit Verweis auf das Ecolog-Institut aus Hannover, stellen die elektromagnetischen Felder eine Gefährdung für Gesundheit und Wohlergehen dar. Das spiegele sich auch in der Immobilienwelt in sogenannten Wertermittlungsportalen wider: Die Grundstücksbesitzer müssen Wertabminderungen je nach des Abstandes zu Freileitungen hinnehmen.
Das Energieunternehmen Enso nimmt die Kritik aus Lawalde durchaus ernst, betont Sprecherin Claudia Kuba auf Nachfrage. "Wir prüfen im Moment, was möglich ist - auch das Thema Erdkabel oder eine Verlegung der Trasse mitsamt den Masten wird dabei dargelegt, es wird darüber diskutiert", sagt sie. Generell macht die Sprecherin für das Thema Erdkabel aber keine allzu großen Hoffnungen: "Zum einen sind die Preise dafür enorm: das Sieben- bis Zehnfache im Vergleich zu den Masten. Zum anderen geht es für uns um Sicherheitsaspekte in der Versorgung", erklärt sie. Bei einer Havarie müsse man schnellstmöglich an die Leitungen herankommen, zumal es bei dieser Strecke wenig Ausweichmöglichkeiten zum Umleiten des Stromes gebe. Bei einer Hochspannungsleitung könnten die Techniker ein Problem deutlich rascher lösen.
Diskussionen um Grenzwerte
Dass man sich bei den Erneuerungsarbeiten an aktuellen Erkenntnissen und Grenzwerten ausrichte, sei selbstverständlich. Die Grenzwerte halte man ein, natürlich auch auf dem 14,6 Kilometer langen Teilstück von Obercunnersdorf bis nach Lauba, wo 2022 gebaut werden soll. "Andernfalls erhalten wir gar keine Genehmigung", betont Frau Kuba. Die Anwohner halten dem Unternehmen hingegen potenzielle Krebsrisikowerte der Weltgesundheitsorganisation sowie Empfehlungen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland oder auch dem Bundesamt für Strahlenschutz entgegen, wonach deutlich niedrigere Werte als der geltende Grenzwert empfohlen werden.
Um hier zu einem Kompromiss zu kommen, hat sich die Gemeinde eingeschaltet. Bürgermeisterin Nadja Kneschke (parteilos) hat gemeinsam mit ihrem Stellvertreter, CDU-Gemeinderat Ringo Hensel, das Gespräch mit der Enso gesucht. "Wir wollen im Sinne der Bürger eine bessere Lösung als die alte Trasse", macht Hensel deutlich. Ob das dann Erdkabel sein können oder wenigstens eine deutliche Verschiebung der Masten weg von den Häusern, werde sich zeigen. Nach SZ-Informationen wird ein Kompromiss wohl eher bei letzterer Variante zu finden sein und möglicherweise auch nicht für alle betroffenen Bewohner.
Ohne Kompromiss bleibt alte Trasse
Sollte es keinen Kompromiss geben, kann die Enso am Ende aber auf der bestehenden Trasse bauen - da hat sie gewissermaßen alte Vorrechte. Denn dass die Verbindung zwischen dem Umspannwerk Hagenwerder und dem Umspannwerk Schmölln bei Bischofswerda, das eben auch durch Lawalde führt, erneuert werden muss, steht außer Zweifel: "Manche Abschnitte stammen noch von 1919, manche sind 1930, manche 1950 gemacht worden", skizziert Claudia Kuba die Situation. Mit Blick auf die neuen Herausforderungen - von Erneuerbaren Energien bis zu E-Mobilität - ist rein altersbedingt eine Erneuerung nötig.
Dass man bei solchen Bauvorhaben komplett neue Trassen erschließe, komme sehr selten vor und resultiere dann aus neuen Gegebenheiten im Verbrauch vor Ort, sagt die Enso-Sprecherin. Natürlich muss das Unternehmen die Kosten im Sinne der Kunden im Blick haben. Das heißt aber nicht, dass man nicht auch vor Ort eine bessere Lösung für die Anwohner suche.