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„Entweder richtig oder gar nicht“

Wu-be-dzo-wan-je, spricht Lehrerin Elisabeth Nuck vor. Erst Silbe für Silbe - betonend. Dann flüssig. Schließlich, als würde sie es fast nur noch „nebenbei“ sprechen. „Das ist der Wettbewerb“, übersetzt sie den Erzieherinnen im Intensivkurs Sorbisch im Haus der Domowina Hoyerswerda.

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Von Andreas Kirschke

Wu-be-dzo-wan-je, spricht Lehrerin Elisabeth Nuck vor. Erst Silbe für Silbe - betonend. Dann flüssig. Schließlich, als würde sie es fast nur noch „nebenbei“ sprechen. „Das ist der Wettbewerb“, übersetzt sie den Erzieherinnen im Intensivkurs Sorbisch im Haus der Domowina Hoyerswerda. Seit Oktober lernen sie hier montags bis mittwochs eifrig die Sprache. Donnerstags und freitags wenden sie Sorbisch an – direkt vor Ort, in den Kindergärten. Praxisnähe ist Trumpf. Soll doch das Witaj-Sprachzentrum Bautzen als Organisator des Kurses den Erzieherinnen Ende Juli nach der Prüfung ein Zertifikat ausstellen. Die Befähigung zur Arbeit in der Witaj-Gruppe eines Kindergartens.

Im Unterricht vermittelt Elisabeth Nuck Alltagsdialoge für den Umgang mit Kindern. Ebenso Reime (allein zehn verlangt die Prüfung!), Lieder, Bräuche und Fingerspiele. Auch mit der sorbischen Kinderliteratur machen Nuck und ihre Kolleginnen Angela Langer und Ludmilla Donath die Erzieherinnen vertraut. Diese zählen mir ohne Umschweife sämtliche Wochentage in Sorbisch auf. Sie benennen humorvoll Finger und Körperteile. Selbst Sprüche wie „Pjeku, pjeku tykanc“ (“Backe, backe Kuchen“), „Moja Hanka, klanka“ (“Meine Puppe Hanka“) oder „Nasa luba macerka“ (“Unser liebes Mütterchen“) fließen geradezu über die Lippen. Was leicht klingt, verlangt intensives Lernen. Und zumindest für einige einen weiten Anfahrtsweg. Kommen doch die Erzieherinnen aus der gesamten Oberlausitz.

Anke Wowtscherk etwa aus Schönau, Martina Halla aus Neustadt/Spree, wo die Eltern Witaj im Kindergarten sehr offen gegenüberstehen. Doris Bertko kommt aus dem Kirchspiel Schleife – aus Halbendorf. „Es ist einfach zu wenig, nur ein Gedicht oder ein Lied in Sorbisch zu können“, beschreibt sie ihre Motivation für die Sprache. „Entweder richtig oder gar nicht.“ Halbendorf, so erzählt sie, hat seit vier Monaten im Kindergarten eine Witaj-Gruppe. Hier will sie sich einbringen, die Sprache anwenden. „Mein Mann fragt mich zu Hause Vokabeln ab“, schildert ihre Kollegin Sylvia Flaton aus Lomske. Ähnlich wie Doris Bertko hat sie keine sorbischen Wurzeln. Sie stammt ursprünglich aus Schirgiswalde. Inzwischen arbeitet Sylvia Flaton im Awo-Kindergarten Radibor. Dieser sucht gezielt eine Erzieherin mit sorbischen Sprach-Kenntnissen. Zur Witaj-Gruppe, die seit Februar 2002 besteht und mit sieben Kindern begann, gehören heute 12 Steppkes. „Eigentlich kennen mich die Kinder in der Tagesstätte nur als deutschsprachige Erzieherin“, erzählt sie. „Doch inzwischen akzeptieren sie, dass ich sorbisch mit ihnen spreche.“ Redewendungen, Mahlzeiten – all dies klappt in der Praxis schon recht gut. Viel lernt die Erzieherin aber auch von einer Kollegin – einer Muttersprachlerin.

„Man bekommt viel mit“, erzählt Ines Wessel aus Niedergurig, die im Witaj-Kindergarten Malschwitz ebenso bei Muttersprachlern an Praxis gewinnt. Donnerstags und freitags kommt sie hierher. Redewendungen wie „Geh´ dich waschen“, „Zieh dich an“ oder „Zieh die Schuhe an“ gelingen im Alltag auf Sorbisch bereits recht gut. „Ich glaube, es ist ein Bewerbungsvorteil“, hofft Ines Wessela mit dem Witaj-Kurs auf einen Wiedereinstieg in ihren Beruf. Jahrelang war sie Horterzieherin in Bautzen. Dann kam die große Kündigungswelle. Fast vier Jahre war sie aus ihrem Beruf heraus. „Ich hoffe sehr, dass ich als Erzieherin mit zwei-sprachiger Ausbildung mehr Chancen habe.“ Auf dem Arbeitsamt stieß sie damit eher auf Unverständnis. „Warum lernen Sie sorbisch und nicht englisch? Die Sorben können doch alle deutsch“, blies ihr hier Wind entgegen. Bereits zur Hälfte im Witaj-Kurs bekam sie eine ABM-Stelle angeboten. Sie sagte ab. Die Konsequenz: kein Arbeitslosengeld mehr... Bis heute wird der Witaj-Kurs (ähnlich wie andere reine Sprachkurse) als berufsqualifizierende Weiterbildung vom Arbeitsamt nicht anerkannt und gefördert. „So schreibt es der Gesetzgeber generell fest“, sagt Raphael Schäfer, Leiter des Witaj-Sprachzentrums. Im Herbst vorigen Jahres gab es Gespräche mit dem Arbeitsamt. Als Training, so hieß es, könnte der Kurs gefördert werden. Jedoch nur zeitlich begrenzt – für zwölf Wochen. „Das reicht aber, um das Ziel zu erreichen, nicht aus.“ Auf einen Wiedereinstieg in ihren Beruf hofft auch Kursteilnehmerin Heike Kotal aus Bröthen. Im Kindergarten am Waldsee hat sie sich hier beworben. „Die erste Frage war: Können Sie sorbisch?“, erzählt sie. „Meine Kollegin hat mir Mut gemacht für den Witaj-Kurs.“ Praxis gewinnt sie vor allem im Krabat-Kindergarten Schwarzkollm, Heimatort von Mit-Teilnehmerin Silvia Stephan. „Wir wollen Kindergarten mit einer Witaj-Gruppe werden“, schildert diese. „Im Moment gibt es dafür erst fünf Kinder. Alles steht noch am Anfang.“ Aber das motiviere eher. Ihre Familie (daheim leben vier Generationen) akzeptiert dies. Die Großeltern sprachen noch sorbisch. Die Eltern verstehen es. „In den letzten Jahren geriet die Sprache in den Hintergrund“, erzählt die Erzieherin. Um dies aufzufangen, hat sie sich für den Intensiv-Kurs in Hoyerswerda entschieden. „Allen hier ist klar, dass es danach weitergehen muss“, betont Elisabeth Nuck. Sie weiß: Wer nicht wiederholt, vergisst schnell. Nur wer Sorbisch ständig aufs Neue verinnerlicht, kann die Sprache auch praktisch anwenden.