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Er hat den schärfsten Job von Bautzen

Für Michael Bischof gibt es gleich zwei Jubiläen: Seit fünf Jahren leitet er Bautzens Senffabrik, die jetzt 66 wird.

Von Tilo Berger
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Michael Bischof hat Grund zur Freude: Das Lager mit Bautz’ner Senf füllt und leert sich jeden Tag aufs neue.
Michael Bischof hat Grund zur Freude: Das Lager mit Bautz’ner Senf füllt und leert sich jeden Tag aufs neue. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Am liebsten der Mittelscharfe. Michael Bischof muss keine Sekunde überlegen, wenn ihn jemand nach seiner liebsten Senfsorte fragt. Er könnte auch mehr als drei Dutzend andere nennen, denn die Bautzener Senf-Macher am Rande der Stadt beherrschen 39 verschiedene Rezepturen. Und jeden Montag verkosten sie die Produktion der Vorwoche.

Kann denn der Werkleiter der Bautz’ner Senf und Feinkost GmbH als oberster Verkoster überhaupt noch an Senf ran? Süßes Gebäck auf dem Konferenztisch lässt etwas ganz anderes vermuten. Aber das ist eher für Besucher gedacht. „Klar kann ich ran, und ich will es ja auch“, lacht Michael Bischof. Im Werk probiert er alle Sorten. Aber zu Hause gibt’s am liebsten den Mittelscharfen. Damit liegt der 41-Jährige auf einer Wellenlänge mit seiner Kundschaft. Von zehn Bechern, Flaschen oder Eimern, welche die hochmodernen Abfüllanlagen verlassen, haben neun den Mittelscharfen intus. Fast 36 Millionen Becher mit dieser Sorte traten im vergangenen Jahr von Bautzen-Kleinwelka aus den Weg in die Supermärkte zwischen Aachen und Zittau an. Vor zehn Jahren waren es etwa vier Millionen Becher weniger. Die Becher kommen übrigens von einem Lieferanten aus Zwenkau bei Leipzig, für die großen Senfeimer sorgt ein Unternehmen in Sohland (Spree). Die Pappe für den Versand kommt aus Bernsdorf bei Kamenz.

Ein Extra für die Senfwochen

An den jüngsten Montagen kosteten die Senfwerker eine Geschmacksrichtung, die es nicht in den Supermärkten gibt und auch nicht geben wird: Tomate-Basilikum. Diese Sorte wurde extra gemixt für die Bautz’ner Senfwochen, die am kommenden Montag beginnen. Und es gibt auch nur einen Ladentisch, über den der Tomate-Basilikum-Senf gehen wird – den im Senfladen am Rathaus. Jedes Jahr bekommen die Senfwochen ein scharfes Extra. 2018 war es Maulbeersenf.

Solche besonderen Sorten laufen nicht über die Bänder, die in einer Stunde bis zu 9 000 Becher befüllen können. Sondern dafür kommt eine alte Abfüllanlage aus dem Jahr 1952 wieder zu Ehren. Die Maschine ist damit ein Jahr älter als die Senffabrik, die als VEB Lebensmittelbetriebe Bautzen mitten in der Stadt begann. Weil es dort bald zu eng wurde und die Rund-um-die-Uhr-Düfte nach Senf und Essig nicht in die Innenstadt passten, zog der Betrieb in den siebziger Jahren nach Kleinwelka um.

Nach 1990 waren vor dem Werksgelände öfter Autos mit bayerischen Kennzeichen zu sehen. Das Familienunternehmen Develey Senf & Feinkost GmbH aus Unterhaching hatte ein Auge auf Bautz’ner geworfen. 1992 kauften die Rand-Münchener das Werk. Nicht für eine symbolische Mark, für die damals viele Treuhand-Betriebe verscherbelt wurden. Sondern zum regulären Buchpreis. Und die Bayern griffen gleich noch mal tief in die Tasche. Für rund 20 Millionen Mark baute Develey in Kleinwelka ein neues Werk nach dem neuesten Stand der Technik. Die bisherige Produktionshalle wurde zum Lager umfunktioniert. Weil das mit der Zeit zu klein geriet, entstand vor mittlerweile zehn Jahren ein großes Lager- und Versandgebäude.

Vom Elektriker zum Werkleiter

Zu den Handwerkern, die im Auftrag von Develey damals für Stromleitungen und Steckdosen sorgten, gehörte der Elektromeister Michael Bischof aus einem nahen Fachbetrieb. Er kannte das Senfwerk schon seit 1998, als er hier erstmals elektrische Anlagen überprüfte. Mit dem Bau des neuen Lagers wurden die Kontakte intensiver. 2011 wechselte Michael Bischof schließlich ganz zu Bautz’ner. Und als hier 2014 die Stelle des Werkleiters neu zu besetzen war, bewarb sich der damals 36-Jährige und wurde Chef der rund 50 Mitarbeiter.

Kein Wunder, dass der gelernte Elektriker außer über neue Feinkostsorten wie Speck-Röstzwiebel-Senf oder Sweet-Chili-Grillsoße auch gern über die Fotovoltaikanlage auf dem Werksdach spricht. Sie ging vergangenes Jahr in Betrieb und deckt etwa ein Viertel des hauseigenen Strombedarfs.

Beim Rundgang durch das Werk nennt Michael Bischof eine Zahl nach der anderen. Zum Beispiel, dass das Senfsaat-Lager 240 Tonnen fasst. Etwa 3 000 Tonnen der gelben Saat werden jährlich gebraucht. Kam der Rohstoff vor einigen Jahren noch fast komplett aus dem Ausland, vor allem Kanada, kauft Bautz’ner mittlerweile etwa ein Drittel seines Bedarfs bei Bauern in der Oberlausitz und in Mecklenburg-Vorpommern. Den Landwirten helfen die Senf-Experten mit Tipps zum Anbau und freuen sich auch, wenn Imker ihre Bienenvölker in der Nähe von Senffeldern ansiedeln. Sechs Senfmühlen zerquetschen die Saat, die mit Wasser, Essig und speziellen Gewürzen zu dem wird, was Millionen Genießer lieben. Welche Gewürze und wie viel wovon – das behalten die Macher aus gutem Grund für sich. „Die Rezeptur ist jahrzehntealt und wird auch nicht verändert“, versichert Michael Bischof.

Den Essig für ihren Senf produzieren die Kleinwelkaer selbst. Bis zu 12 000 Liter Essig am Tag spuckt die Anlage aus. Die Hälfte wandert in den Senf, die andere Hälfte wird verkauft – im Handel, aber auch an Großkunden wie Gurkenhersteller im Spreewald.

Gurken- und andere Konserven mit dem Etikett Bautz’ner kommen nicht aus der Spreestadt selbst, sondern aus anderen Develey-Werken. Wie auch Brutzelsoßen, Ketchup oder Salatdressings. Aber der Senf und der Essig kommen jetzt und in Zukunft nur aus Kleinwelka.

Sibylle Domagala arbeitet an der Verpackungslinie für Ein-Liter Flaschen. Täglich werden im Werk rund 90 Tonnen Senf abgefüllt.
Sibylle Domagala arbeitet an der Verpackungslinie für Ein-Liter Flaschen. Täglich werden im Werk rund 90 Tonnen Senf abgefüllt. © SZ/Uwe Soeder