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„Er will Investitionen erpressen“

Aus Sicht des Ökonomen Ulrich Blum macht Nordkoreas Diktator Kim Jong Un eine rationale Politik, um zu überleben. Eine Vereinigung mit Südkorea wäre kaum zu bewältigen.

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Professor Blum, Kim Jong-Un will seine Macht sichern. Wie heruntergekommen ist das Land?

Ulrich Blum gilt als „Vereinigungsexperte“. Er betreibt seit 20 Jahren erst an der TU Dresden, dann als Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und jetzt an der Universität Halle-Wittenberg die Transformationsforschung, also den Wandel von
Ulrich Blum gilt als „Vereinigungsexperte“. Er betreibt seit 20 Jahren erst an der TU Dresden, dann als Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle und jetzt an der Universität Halle-Wittenberg die Transformationsforschung, also den Wandel von

Die Wirtschaft ist völlig marode. Sie erreicht nur noch fünf Prozent der Wirtschaftsleistung von Südkorea. Kim Jong-un macht eine völlig rationale Politik. Er weiß, wenn es zu einer Wiedervereinigung mit dem Süden kommt, dann unter südlichen Vorzeichen. Und dann werden – wie im Fall Deutschland – die ganzen kriminellen Machenschaften verfolgt werden. Das wollen er und sein Clan nicht. Auf der anderen Seite weiß er, dass das Regime so nicht überleben kann.

Weshalb nicht?

Wir rechnen damit, dass 16 Millionen von 24 Millionen Nordkoreanern hungern. Die Repression ist ungeheuer stark. Sehr viele Menschen leben in Arbeitslagern. Die Armee ist ein Repressionsinstrument, um junge unbeschäftigte Männer zu Hunderttausenden unter Kontrolle zu halten. Es gibt Studien, die zeigen, dass in Ländern mit einem hohen Anteil junger arbeitsloser Männer entweder Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Deshalb wird Kim Jong-Un alles tun, um Investitionen ins Land zu ziehen.

Aber nun hat er die Sonderwirtschaftszone Kaesong geschlossen?

Ja, das stimmt. Er will die Risikokosten so nach oben treiben, dass Investitionen in Südkorea und China teuer werden. In den drei Provinzen Chinas nördlich von Nordkorea gibt es große mineralogische Vorkommen, die gleichen wie in Korea. Das war auch der Grund für die japanische Invasion, weil die Japaner keine Rohstoffe hatten und sie in den 30er-Jahren über Freihandel nicht zu bekommen waren. Amerikaner, Briten und Franzosen blockierten dies über ihre Kolonialpolitik. In diesen drei nördlichen Provinzen leben 100 Millionen Menschen. Internationale Investoren siedeln sich da nicht mehr so gern an. Wenn etwas in Korea passiert, können dort plötzlich drei, vier Millionen Flüchtlinge stehen. Das ist nicht beruhigend. Der Plutoniumreaktor wurde in Nordkorea hochgefahren, um radioaktives Plutonium herzustellen. Es soll Angst auslösen, denn eine Plutoniumverseuchung der Landschaft ist nicht im Interesse Chinas.

Und das heißt?

Nordkorea ist quasi nicht angreifbar, höchstens mit einem gezielten Enthauptungsschlag. Diesen könnten nur die Amerikaner ausführen, weil kein anderes Land der Welt die Waffentechnologie dazu besitzt. Es gibt derzeit keine friedliche Option. Aber solange der Konflikt köchelt, werden internationale Investoren in der Region nicht mehr investieren .

Warum will er die Risikokosten hochtreiben?

Um die westliche Welt zu erpressen. Niemand kommt freiwillig nach Nordkorea. Kim Jong-Un hat versucht, Investoren zu locken - ohne Erfolg. Das ist mein Erklärmodell. Deshalb macht er auch keine konventionellen Armeebewegungen. Das heißt, er will keinen Krieg, sondern Unruhe stiften. Kaesong ist geschlossen, wenn sich Investoren also jetzt fragen: Gehen wir nach Südkorea oder nach Malaysia, entscheiden sie sich natürlich für Malaysia. Und schon hat Südkorea ein Problem.

Warum sind die Amerikaner erpressbar?

China, Südkorea und Japan haben nicht dieses Grundverständnis, in einem gemeinsamen Haus zu leben wie Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten. Es gibt nicht diese Völkerverständigung, die Adenauer und de Gaulle begründet haben. Die einzige Sache, die diese drei Länder zusammenhält, ist, dass sie keinen Ärger mit Nordkorea haben wollen. Sollte also in Nordkorea etwas mit einer Atombombe passieren, besteht die Gefahr, dass die Japaner in einem Jahr selbst eine bauen. Fähig dazu sind sie. Aber sie bauen sie nicht, weil der Schutzschirm der Amerikaner bisher hält. Tut er es nicht mehr, kann sich das ganz schnell ändern. Deshalb sind die Amerikaner erpressbar, die Nordkoreaner nicht verhungern lassen zu können. Wir sind in der schrecklichen Situation, keine Antwort zu haben. Deshalb wird man sich erpressen lassen wie das letzte Mal auch.

Welche Art von Investitionen will Nordkorea?

Es gibt das Gerücht, dass Kim Jong-Un eine Struktur haben will wie die Vietnamesen. In China war jeder Investor willkommen, eine Beteiligung einzugehen. Die Vietnamesen haben sich die Unternehmen ausgesucht, die sie wollten. Nordkorea braucht moderne Stahlwerke, Hüttentechnik und Investoren, die den Bergbau modernisieren. Ich würde am liebsten wetten, dass in fünf Jahren ein großes Unternehmen in einer sogenannten Friedensoffensive dazu gezwungen wird, denen so etwas zu bauen.

Rückt damit eine Wiedervereinigung

in weite Ferne?

Eine Wiedervereinigung jetzt geht nicht ohne Hilfe von China, Japan und Amerika aus rein finanztechnischen Gründen. Die Südkoreaner wissen, dass sie wahnsinnig teuer und strategisch schwierig werden würde. Chinesen und Russen wollen keine US-Truppen in ihrer Einflusssphäre haben.

Was wären die gravierendsten Unterschiede im Vergleich zur deutschen Wiedervereinigung?

Dass sie nicht von Korea allein zu finanzieren wäre. Man müsste nicht wie bei der deutschen Wiedervereinigung fünf Prozent der Wirtschaftsleistung, sondern 20 Prozent in den Norden transferieren, Das wäre eine unvorstellbare Belastung für die öffentlichen Kassen. Um einen Exodus von Menschen zu verhindern, müssten wie in der DDR die Einkommenserwartungen stabilisiert werden. Westdeutschland hat jährlich netto rund 75 Milliarden Euro in den Osten transferiert, um dort eine Pro-Kopf-Ausstattung von rund 60 Prozent des Westens zu erreichen. In Korea läge der Nettobetrag wegen des höheren Bevölkerungsanteils und der geringeren wirtschaftlichen Leistung Nordkoreas bei 250 Milliarden Dollar jährlich. Auf eine solche Belastung ist Südkorea nicht vorbereitet.

Was lässt sich noch vom deutschen Transformationsprozess lernen?

Dass auch die Währung Südkoreas in Turbulenzen geraten würde. Deutschland ist durch die Wiedervereinigung ärmer geworden. Eigentlich hätte man damals die D-Mark abwerten müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Weil wir jedoch die Exporte ins Inland umlenkten, da die Ostdeutschen neue Kühlschränke und Autos brauchten und wegen der hohen Ausgabenprogramme der Inflationsdruck stieg, musste die Bundesbank die Zinsen erhöhen. Deshalb war das Kapitalanlegen in Deutschland sehr schön. Wir hätten die Währung um zehn Prozent abwerten müssen, stattdessen werteten wir um 20 Prozent auf, was unsere Produkte international teuer machte. In Korea wäre dieser Effekt um ein mehrfaches stärker. Der Won würde durch die Decke schießen und die Exporte des Landes zunichte machen.

Gibt es weitere Barrieren?.

Anders als in der DDR gibt es in Nordkorea sehr viele traumatisierte Menschen. Nur ein Beispiel: Um an Informationen zu kommen, nehmen die Nordkoreaner heimlich Radiosendungen auf. Es gibt einen regen Schmuggel von CDs, Videos und Kassetten. Aber wie kommt das Regime dahinter? Indem die zentrale Stromversorgung abgeschaltet wird. Dann klemmen die CDs und Kassetten in den Apparaten. Der Geheimdienst geht von Wohnblock zu Wohnblock in die Wohnzimmer und kontrolliert, was in den Geräten steckt. Die Betroffenen wandern ins Arbeitslager. Das Überwachungsproblem ist unvorstellbar und auch die Isolation. Die Ostdeutschen haben bei der Währungsunion völlig normal reagiert im Umgang mit der D-Mark. Denn sie kannten genau die westdeutschen Preise durch die Reklame. Sie wussten, dass Persil nur 1,99 kosten durfte und nicht 2,95. Sie wussten, was Knappheitsgrade sind. Das wäre in Nordkorea ganz anders.

Warum?

Weil die Menschen dort den Umgang mit einer konvertiblen Währung nicht gewohnt sind. Aber auch das unterschiedliche Ausbildungssystem ist eine viel größere Barriere als bei der deutschen Wiedervereinigung. Der Westen hat die ganze demografische Reserve des Ostens aufgesaugt, die überdurchschnittlich jung, überdurchschnittlich qualifiziert und zu einem hohen Anteil weiblich war. Die Steuerzahlungen von in den Westen abgewanderten Ostdeutschen finanziert fast die Hälfte der Nettotransfers in den Osten. In Südkorea ist das Bildungssystem dafür nicht geeignet. Wenn sie Millionen Arbeitskräfte integrieren müssen, dann brauchen sie einen offenen Arbeitsmarkt. Das bedeutet, was an der TU Dresden studiert wird, ist auch in München gültig. Momentan heißt es in Korea, was man in Pjöngjang studiert hat, können wir in Seoul nicht gebrauchen. Das ist ein Riesenproblem.

Wagen Sie eine Prognose, wie lange der Konflikt mit Nordkorea anhalten wird?

Das ist ein gegenseitiges Hände-Hoch-Spiel, das vermutlich im Sommer vorbei sein wird. Kim Jong-Un will seine Haut retten und er will komfortabel leben mit seinem Clan. Das geht nicht in einem Land, in dem immer mehr Menschen hungern. Irgendwann ist die Grenze erreicht, dass es auch Diktatoren nicht mehr egal ist, wenn es der eigenen Bevölkerung zu schlecht geht. Diese Grenze hat Nordkorea vor fünf Jahren überschritten als die erste Million Menschen an Hunger gestorben ist.

Das Gespräch führte Nora Miethke