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Erquickende Kultur und Ehre ohne Brille

Geflüster

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Von Frank Seibel

Friedemann Dreßler hätte ruhig weiter Jazz hören können. Doch der Stadtplaner, der als Mensch jedes Jahr die Jazztage organisiert, musste am späten Donnerstagabend nochmal raus. Im dunklen Anzug und frisch geschoren, traf Dreßler nach 22 Uhr im Rathaus ein. Schließlich sollte er einen Vortrag halten über die bisherigen Ergebnisse des Stadtmarketings. Doch der spät Berufene kam gar nicht mehr zu Wort. Um die Selbstquälerei nicht auf die Spitze zu treiben, hatte der Stadtrat die Sitzung auf 22.30 Uhr begrenzt. Dreßlers Auftritt musste geopfert werden.

Cordula Gellert hat am selben Abend bewiesen, dass sie keineswegs eine Verächterin alles Kultur(haupt)stadttreibens ist, wie ihr manche Menschen unterstellen. Die persönliche Referentin von Oberbürgermeister Joachim Paulick nippte während der Ratssitzung immer wieder an ihrer Tasse mit dem Kulturhauptstadt-Stempel.

Stadtrat Günter Friedrich hat am selben Abend eine Schwäche zugegeben. „Das kann man ja gar nicht lesen“, brummte er, als Stadtkämmerin Birgit Peschel-Martin ganze Kaskaden von Zahlen an die Wand projizierte, die das Finanzdilemma der Stadt darstellten. Vom anderen Flügel des Ratssaales rief ihm Raphael Schmidt mitfühlend zu: „Du musst mal den Optiker wechseln.“ Und er empfahl auch gleich einen preiswerten.

Gar keine Brille hatte Hans-Peter Struppe mit, als das Musiktheater die erste Premiere der neuen Spielzeit feierte. Das wäre an sich nicht wichtig, denn „Struppi“ trägt eigentlich nie eine. Aber als Renate Winkler vom Theater- und Musikverein die Publikumslieblinge der vergangenen Spielzeit ehrte, zitierte sie einen ausdrücklichen Kinderwunsch: Das Sams und Herr Taschenbier, stand auf einem Zettel in Kinderschrift, müssten auf jeden Fall geehrt werden. Nun hat Struppi den Taschenbier ja nur gespielt, und er war sich nicht ganz sicher, ob er auch wirklich gemeint sei. Kollegin Anja Meyer indes hopste in Sams-Manier gleich auf ihren „Papa Taschenbier“ und freute sich – ohne rote Haare, blaue Punkte und Schweinsnase – am SAMStag über die Ehrennadel des Theater- und Musikvereins.

Eckehard Stier hätte vielleicht nichts dagegen gehabt, wenn die Auszeichnung an Herrn Taschenbier gegangen wäre. So aber konnte der Chefdirigent seinen Rückstand auf Struppi nicht aufholen.