Erst gebissen, dann beleidigt

Zeithain. Die Straße in Röderau ist beschaulich. Ruhig gelegen, viele Wohnhäuser mit gepflegten Vorgärten auf beiden Seiten. Dort will Hannes F.*, 38, vom Hund eines Straßennachbarn attackiert worden sein.
Über den Gartenzaun hinweg habe das Tier zugeschnappt, als F. auf dem Fußweg vorbeilief. Und das mehrmals: Bei einem Vorfall Anfang vorigen Jahres sei seine Jacke kaputt gegangen, so der 38-Jährige. Im November dann habe der Hund – nach seinen Worten ein mittelgroßes Exemplar – ihn an der Schulter gebissen.
Beide Male habe er versucht, danach mit dem Hundebesitzer über die Vorfälle zu reden. Doch der 63-jährige Tierhalter habe ihn nur bepöbelt und beleidigt. Beim ersten Mal als „Dummbrot“. Beim zweiten Mal soll er gesagt haben, F. solle zum Psychologen gehen und verschwinden.
Beide Male hat Hannes F. seinen Nachbarn angezeigt. Beim ersten Mal hatte sich der Hundehalter auf Vermittlung der Polizei für seine Beleidigung schriftlich entschuldigt, was Hannes F. akzeptiert hatte. Seine kaputte Jacke habe er aber bis heute nicht ersetzt bekommen, sagt F. Obwohl er per Brief die Bankverbindung hinterlassen habe. Auf die 60 Euro warte er bis heute.
Weil der Hund im November ein zweites Mal zugeschnappt haben soll, stand der Halter jetzt vor Gericht. Der Vorwurf: fahrlässige Körperverletzung. Nach dem ersten Vorfall vom Jahresanfang 2018 hätte der 63-Jährige wissen können, dass sein Tier an den Zaun springt, wenn Fußgänger vorbeigehen, ist der Staatsanwalt der Meinung.
Dennoch habe der Mann seinen Hund in den Garten gelassen und nichts am Zaun verändert. Der Angeklagte sieht die Schuld jedoch bei Hannes F. „Der schiebt gestern wieder mit der Schulter am Zaun lang! Der muss es doch mal lernen.“ Es ist der längste Satz des Vollbartträgers während der Verhandlung im Amtsgericht Riesa.
Hannes F. sagt, an dem Grundstück vorbeizulaufen sei der kürzeste Weg, um seine Tochter in die Kita zu bringen. Der Hund habe sich von hinten angeschlichen und zugeschnappt. Wegen der Vorfälle habe er den Fußweg zuletzt zwar gemieden. Inzwischen gehe er ab und zu wieder dort lang. Der Hundehalter habe das Tier jetzt auch halbwegs gut erzogen, sagt er.
Derlei Widersprüchlichkeiten lässt F. immer wieder fallen. Bei der Zaunhöhe zum Beispiel gehen seine Angaben auseinander. Mal sind es etwa 50 Zentimeter, mal 1,20 Meter. Mal gibt er an, dass der Hundebesitzer ihn bei dem zweiten Vorfall nicht beleidigt hat. Später erklärt er, „jedes Mal“ bepöbelt worden zu sein, wenn er auf ihn getroffen sei.
Das macht es dem Gericht nicht leichter, die Vorfälle mit den Männern zu besprechen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte mürrisch wirkt, sich zugeknöpft gibt und offenbar auch Probleme hat, die zwei Vorfälle von 2018 auseinanderzuhalten.
Hannes F. zwar nicht, und er zeigt sich auch auskunftsfreudig. Doch warum der 38-Jährige trotz eines ausreichend breiten Fußweges nach der ersten Hundeattacke erneut ziemlich nahe am Nachbarszaun vorbeigegangen ist – auf diese Frage liefert er aber keine plausible Begründung.
Der Staatsanwalt bietet schließlich an, das Verfahren gegen den Hundehalter einzustellen, wenn der 300 Euro an Hannes F. als Wiedergutmachung zahlt. Eine Mischung aus Schmerzensgeld für die Bisswunde und Schadensersatz für die kaputte Jacke.
Dem stimmen alle Beteiligten, inklusive der Richterin, zu. Vorläufig ist das Verfahren gegen den Hundebesitzer damit eingestellt. Zahlt der Hartz-IV-Empfänger im nächsten halben Jahr die vereinbarten Raten an den Nachbarn, ist die Sache erledigt.
* Name geändert.