Von Jürgen Müller
Es ist das Einfache, das so schwer zu machen ist. Aus viereckigen Holzstücken werden unter den kleinen, aber schon geschickten Händen von Simon Jentzsch runde Stäbe. Der Achtjährige ist das jüngste Mitglied der Leubener Schnitzergruppe. „Eigentlich nehmen wir ja erst Kinder, die wenigstens zehn Jahre alt sind. Doch Simons Bruder ist schon bei uns, außerdem stellt er sich sehr geschickt an“, lobt Gerhard Hempel, der Chef der Gruppe. Dennoch sind die ersten Schnitzversuche von Simon eine typische Anfängerarbeit. „Natürlich wollen die Jungs schnelle Erfolge sehen. Deshalb lasse ich sie auch nicht nur Stäbe schnitzen, sondern wir bauen daraus dann kleine Holzstapel. Das ist meist das Erstlingswerk“, erklärt Hempel. Er selbst hat das freilich schon längst hinter sich. Von Anfang an ist der 71-Jährige in der Gruppe dabei, gehört sozusagen zu den Gründungsvätern. Eberhard Engelhardt, der aus dem Erzgebirge stammte, hatte die lose Verbindung damals ins Leben gerufen. Unzählige Klötze aus Lindenholz verwandelten sich seitdem unter seinen geschickten Händen zu wahren Kunstwerken. In einer Vitrine sind einige ausgestellt: zwei Elche, ein röhrender Hirsch, eine Bäuerin, die Hühner füttert, zwei Nachwächter. Wie lange arbeitet ein Hobby-Schnitzer an solch einer Figur? „Das kann man gar nicht so genau sagen“, so Gerhard Hempel. „Weil wir nie ununterbrochen an einem Objekt arbeiten, sondern die angefangene Figur zwischendurch weglegen, an einer anderen schnitzen.“ Aber so um die 50 Arbeitsstunden, die gehen schon drauf für eine Figur, schätzt er.
Angefangen mit alten
Rasiermessern
Die Leubener sind reine Idealisten, die aus Spaß an der Freude schnitzen, keine kommerziellen Interessen verfolgen. Dennoch kostet das Hobby viel Geld. „Weil wir kein eingetragener Verein sind, bekommen wir keinerlei Unterstützung. Müssen die Miete für unsere zwei Räume selbst bezahlen, den Strom, das Holz, das Werkzeug“, so der Leiter. Und Holz ist teuer. Zum Glück reichen die Vorräte noch eine Weile. Anders dagegen bei den Werkzeugen. Die nutzen sich schnell ab, müssen regelmäßig geschliffen und ersetzt werden. Bloß gut, dass die Leubener jetzt ein Schleifaggregat haben. Normalerweise hätten sie sich das gar nicht kaufen können, so teuer ist das. Doch sie bekamen es geschenkt von der Dachdeckerinnung. Weil sie für die Dachdecker den Deckel einer Truhe kunstvoll beschnitzt hatten. Ein Tauschgeschäft Ware gegen Ware also. Jetzt gibt es zwar alles zu kaufen an Werkzeug, das ist aber ziemlich kostspielig. Als die Leubener vor 40 Jahren mit dem Schnitzen anfingen, mussten sie sich teilweise alte Rasiermesser zurecht schleifen.
Selbst wenn die Schnitzbegeisterten Autodidakten sind, schließt das nicht aus, dass sie sich Rat bei Fachleuten holen, den „Profis“ mal über die Schulter schauen. Regelmäßig fahren sie zum „Tag der Schnitzer“ nach Annaberg-Buchholz, schauen sich Ausstellungen an, gehen zum Schauschnitzen. Früher gab es auch regelmäßig Lehrgänge in Oederan, die sich die Leubener nicht entgehen ließen.
Zehn Erwachsene und vier Jugendliche gehören der Schnitzgruppe an. „Wir hatten schon mal mehr Jugendliche, doch die Probleme sind überall die gleichen. Nach der Schule kriegen sie hier keine Lehrstelle, gehen woanders hin und kommen meist nicht wieder“, sagt Gerhard Hempel. Doch nicht nur die ganz Jungen fehlen, sondern es klafft eine Lücke im „Mittelalter“. „Mit 71 bin ich längst nicht der Älteste“, so der gelernte Sattler und frühere Kraftfahrer.
Die Jungen aber machen sich gut. So auch Andre Jäckel. Der Elfjährige ist ein Enkel von Hempel. Auf einem Tisch hat er seine bisherigen Arbeiten aufgebaut. „Ich bin durch den Opa zum Schnitzen gekommen. Jetzt mache ich gerade eine Bäuerin, die Hühner füttert.“ Moment mal, Bäuerin, die Hühner füttert? Das hatten wir doch schon mal? Stimmt, der Opa hat eine solche Gruppe schon vor Jahren mal geschnitzt. Und der Enkel tut es ihm jetzt nach.
Nur im kleinen Kreis
ein bisschen feiern
Dass die Leubener vor allem Lindenholz verwenden, hat seinen Grund. „Dieses Holz, das wenigstens drei bis vier Jahre lagern muss, ist im Gegensatz zu Eiche und Kiefer weicher, lässt sich deshalb leichter bearbeiten und platzt nicht so schnell“, erklärt der Altmeister. Wenn das Werk fertig ist, wird es meist mit Bienenwachs behandelt. „Früher, als es nichts gab, haben wir einfach Bohnerwachs genommen“, erinnert sich Gerhard Hempel. Nicht gut sei dagegen Hochglanzlack. Denn könne man nur stark verdünnt verwenden, damit die Struktur des Holzes erhalten und sichtbar bleibt.
Wo sind die Arbeiten der Leubener nun zu sehen, wird es zum Jubiläum eine Ausstellung geben? Gerhard Hempel zuckt mit den Schultern: „Wir werden nur im kleinen Kreis ein bisschen feiern. Denn für eine Ausstellung fehlt uns das Geld. Selbst die Versicherungskosten könnten wir kaum bezahlen.“ Ausstellungen im Schloss Schleinitz, dem Rathaus in Lommatzsch und in Döbeln waren nicht der große Renner, sie kosteten mehr als sie einbrachten. Dennoch käme einiges an Ausstellungsstücken zusammen. So um die 300 bestimmt. Ein Hauch von Erzgebirge im Käbschütztal.
Simon Jentzsch hat sich auf einem Rohling die Strukturen der künftigen Bäuerin vorgezeichnet. Ein bisschen zeichnerisches Talent sollte man schon haben, um Schnitzen zu lernen. Und vor allem Geduld und Ausdauer.
Käuflich sind die Leubener, besser gesagt ihre Schnitzerzeugnisse, nicht. „Jedes Teil ist ein Unikat. Rechnet man die Arbeitsstunden, so sind unsere Figuren praktisch unbezahlbar“, sagt der Chef. Wichtig sei das Erfolgserlebnis, die Freude über das Geschaffene. Nur darum geht es ihnen seit vier Jahrzehnten.