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Als Sachsen das Zentrum Europas war

Forscher haben nun herausgefunden, dass die Region zur Bronzezeit im Mittelpunkt des Fernhandels lag. 

Von Stephan Schön
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Funde aus der Bronzezeit einer ganz neuen Art machen die Wissenschaftler hier bei Schellerhau - es geht um Zinn. Die Archäologen entdecken Spuren eines Uralt-Bergbaus von vor 4.000 Jahren.
Funde aus der Bronzezeit einer ganz neuen Art machen die Wissenschaftler hier bei Schellerhau - es geht um Zinn. Die Archäologen entdecken Spuren eines Uralt-Bergbaus von vor 4.000 Jahren. © : Landesamt für Archäologie Sachsen / Martin Jehni

Dresden/Mannheim. Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt waren vor 4.000 Jahren das wirtschaftliche Zentrum Europas. Wissenschaftler berichten darüber jetzt im Fachmagazin Plos One. 

Ihnen gelang der Nachweis eines europäischen Fernhandels in der Bronzezeit. Und das, obwohl es keine Schriftstücke, keine Überlieferungen, kaum Fragmente gibt.

Allein anhand von Molekülstrukturen im Kupfer der Bronze haben Archäometrie-Professor Ernst Pernicka und sein Team die Handelsrouten von damals rekonstruiert. Metalle enthalten eine Art geochemischen Fingerabdruck. Pernicka, Chef des Mannheimer Curt-Engelhorn-Zentrum und Kollegen der Universität Aarhus konnten mit neuen naturwissenschaftlichen Verfahren diesen Code im Metall Dutzender Bronzeäxte entschlüsseln. Sie haben die Herkunft der Erze bestimmt.

Der Schatz von Kyhna: Bronze als Schmuckstück, Waffe und Werkzeug. Das Zinn dafür wurde offenbar  im Erzgebirge abgebaut, vor mehr als 4.000 Jahren schon.
Der Schatz von Kyhna: Bronze als Schmuckstück, Waffe und Werkzeug. Das Zinn dafür wurde offenbar  im Erzgebirge abgebaut, vor mehr als 4.000 Jahren schon. © Landesamt für Archäologie Sachsen / Juraj Lipták

An den Grundlagen solcher Analysen hatte Pernicka zuvor auch an der Bergakademie Freiberg geforscht. Sein Fazit im Gespräch mit der SZ nun: „Schon vor 4.000 Jahren war Europa ein einheitlicher Wirtschaftsraum.“ Bronze gegen Bernstein, von weit im Norden bis weit in den Süden. Und die Drehscheibe des Fernhandels war die Mittelelbe-Saale-Region, also Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, bis Böhmen. Dort, wo sich vor 4.000 Jahren die Aunjetitzer Kultur befand. 

Reiche Gräber in Böhmen und Sachsen deuten auf Wohlstand hin, sagt Christiane Hemker, verantwortlich für die Erzgebirgs-Region im Landesamt für Archäologie. Die Sachsen, oder präziser, die, die damals hier lebten, tauschten Zinn gegen Gold und sehr viel Bernstein; gegen Felle, Honig und Tiere.

Mit Satelliten zum Uralt-Bergbau

Für den hervorragenden Mittelalter-Bergbau bekam das Erzgebirge eben den Weltkulturerbe-Titel. Doch der Bergbau muss um 3 500 Jahre zurückdatiert werden, also auf 4.000 vor heute. Zinn wurde damals schon aus einem ehemaligen Flusslauf bei Schellerhau abgebaut, und das offenbar in Massen. Dies hatte Christiane Hemker mit ihrem Team Ende 2018 herausgefunden. 

Es müssen Tonnen von Zinn jedes Jahr gewesen sein. „Das Erzgebirge war ein zentraler Lieferant für Europa“, sagt Hemker heute. Auch Pernicka sieht das so, zumindest für die frühe Bronzezeit vor 4.000 Jahren etwa. „Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Zinnversorgung von Mitteleuropa in dieser Zeit vorrangig aus dem Erzgebirge gekommen ist.“

Die Himmelsscheibe von Nebra ist das Symbol für eine zum Ende der Bronzezeit untergegangene Hochkultur in unserer Region. Das Zinn dafür, so die Vermutungen nun, kommt aus dem Erzgebirge. 
Die Himmelsscheibe von Nebra ist das Symbol für eine zum Ende der Bronzezeit untergegangene Hochkultur in unserer Region. Das Zinn dafür, so die Vermutungen nun, kommt aus dem Erzgebirge.  © dpa

Mit den neuen Erkenntnissen zum Uralt-Bergbau, zum europäischen Fernhandel und Mitteldeutschland im Zentrum von all dem verändert sich das Bild von unseren Vor-Vorfahren fast monatlich. „Wir stehen am Anfang der Neuentdeckung unserer ganz frühen Geschichte“, sagt Christiane Hemker. Und es geht weiter.

Schon im kommenden Jahr beginnt ein nächstes Großprojekt gemeinsam mit Universitäten und Instituten, kündigt die Wissenschaftlerin an. Satellitenbilder, Flugzeugbeobachtungen und Radar werden genutzt. Und unten graben sich die Archäologen dann durch den Wald in den beiden nächsten vermuteten Uralt-Bergbaugebieten bei Ehrenfriedersdorf und Eibenstock. „Jetzt wird es erst richtig spannend.“