In die öffentliche Debatte um das Erstaufnahmelager in der Bremer Straße schaltet sich nun das Bistum Dresden-Meißen ein. Nach dem Besuch im Camp schildert Bischof Heiner Koch im Interview seine Eindrücke und kritisiert, dass die Flüchtlingsfrage benutzt wird, um Ängste zu schüren. Im September wechselt der 61-Jährige als Erzbischof nach Berlin.
Herr Bischof, im Zeltcamp leben Flüchtlinge auf engstem Raum, könnten Sie sich vorstellen, so zu leben?
Nicht nur das erscheint mir unvorstellbar. Man erfährt, wie die Situation der Flüchtlinge ist und wie sie hergekommen sind. Schlimmer als die Perspektivlosigkeit ist die Erstauffangsituation. Es ist sehr bedrückend, wenn man durch das Gelände geht. Hinter den sachlich richtigen Zahlen zur Zuteilung von Kleidung und Wasser stehen Gesichter mit ihrer Geschichte, Hoffnungen, Sorgen und Ängsten. Ich habe ein kleines Kind gesehen, das mit einer Kugel spielte. Bei den großen Zahlen, die wir im Moment diskutieren, ist das ein Mensch, ein Gesicht, ein Kind, keine Nummer. Das ist sehr bedrückend.
Ärzte haben das Camp mit Lagern in Kriegsgebieten verglichen und die hygienischen Bedingungen heftig kritisiert. Wie ist Ihr Eindruck?
Ich glaube, dass dies deutlich verbessert wurde. Klar ist, das Ganze kam völlig überraschend in dieser Wucht, in dieser Größe. Ich verstehe die Kritik, aber sie ist nicht gerechtfertigt gegenüber denen, die sich dort abrackern bis an die Grenze ihrer Möglichkeiten und manchmal selbst leiden. Das sind Leute mit Erfahrung in Flüchtlingslagern im Ausland, die natürlich sehen, dass alles besser sein könnte. Sie zu beschimpfen finde ich aber ungerecht.
DRK-Mitarbeiter und Freiwillige wurden angegriffen, im Internet wird offen gehetzt? Warum gibt es in Dresden diese fremdenfeindliche Stimmung?
Ich weiß nicht, ob das nur in Dresden so ist. Bei Facebook sind ja Menschen von überall dabei. Dort wird die Not von Menschen instrumentalisiert, um eigene Interessen durchzusetzen. Von einigen Gruppen wird die Flüchtlingsfrage politisch absolut missbraucht, um Unruhe in diese Gesellschaft zu tragen und Ängste zu mobilisieren, die meines Erachtens nach nicht begründet sind und hier in Sachsen erst recht nicht.
Rassisten bekennen sich selten offen, oft sind es die leisen Zwischentöne. Sind Ihnen solche Äußerungen in Dresden schon persönlich begegnet?
Ja. Ich bin in meinen Stellungnahmen zu Pegida deutlich verbal angegriffen worden. Ich erinnere mich noch an den Montag vor Weihnachten. Demonstranten standen vor unserer Tür. Sie nannten sich „Christen für Pegida“ und griffen mich massiv an, weil ich zu Pegida Stellung bezogen hatte. Es gab unterschiedliche Erfahrungen. Mit einigen tut es gut, zu sprechen. Einige habe ich in mein Büro gebeten. Das Gespräch entkrampfte vieles und sie waren für Argumente zugänglich. Es gibt andere, bei denen ich jedes Gespräch für sinnlos halte, weil sie demagogisch sind. Für die ist die Flüchtlingsfrage ein Mittel zum Zweck. Sie wollen die Gesellschaft auf den Kopf stellen. Das muss man differenzieren. Die momentan scharfe Rechtswendung von Teilen der Gesellschaft ist für mich drückend.
Wie empfinden Sie die Kommunikation gegenüber den Bürgern in der Frage der Unterbringung von Flüchtlingen?
Wir haben ein großes Kommunikationsproblem. Inzwischen ist vieles gelernt worden. Es gibt eine ganze Reihe Politiker, die sich engagiert um Verständnis bemühen.
Sie müssen erklären, verdeutlichen und Perspektiven zeigen. Da ist Unklarheit, wie mit den steigenden Asylbewerberzahlen umgegangen werden soll. Das spüren wir auch bei Helfern. Die Vermittlung an Kommunen, die lange Bearbeitungsdauer von Anträgen, das schürt Ängste. Radikale Kräfte können solche Ängste mit ein paar Parolen zum Explodieren bringen. Kommunen werden teils alleingelassen, müssen gucken, wie sie das finanziell schaffen. Der Bund macht es sich oft zu einfach. Um Flüchtlinge unterzubringen, schließen wir Turnhallen. Aber es gibt Bürger, die Angst haben, dass für sie bestimmte Leistungen nicht mehr erbracht werden können. Vieles wird auf die untere Politikebene abgeschoben, die leicht zu kritisieren, aber ohnmächtig ist. Sachliche Probleme müssen gelöst werden, auch in Europa. Es können nicht nur Deutschland und Schweden in der Flüchtlingsfrage gefordert sein, während andere blockieren.
Anträge müssen schneller bearbeitet werden. Viele Asylbewerber wissen, dass sie wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen. Wie filtern wir die heraus, die in Not und verfolgt sind, denen wir helfen müssen und können.
Noch einmal 5 000 sollen im August nach Sachsen kommen. Sind wir mit der Zahl von Flüchtlingen überfordert?
Die Frage ist nicht wie viele kommen, sondern wie viele bleiben. Die Menschen müssen schnellstmöglich integriert, die Lager müssen aufgelöst werden, die Menschen in die Gesellschaft hineinkommen und die Sprache lernen. Da sind auch die Kirchgemeinden gefragt, eine Kommunikations- und Kulturstruktur zu entwickeln. Kirche hat eine besondere Verantwortung für Menschlichkeit. Unsere Gemeinden engagieren sich dafür. Wir haben einen Fonds, mit dem wir konkret auch einzelnen Flüchtlingen helfen. Das ist ein Herzensanliegen. Das wird auch mein Schwerpunkt bleiben, wenn ich nach Berlin gehe, wo die Verhältnisse noch dramatischer sind. Wir können nicht die Aufgabe des Staates übernehmen. Aber wir können Menschen Mitgefühl geben, Solidarität und Vertrauen schenken.
Das Gespräch führte Tobias Wolf