Von Juliane Richter
Die Erleichterung am Tag nach dem Großeinsatz ist deutlich zu spüren. Vor dem Chemie-Neubau der TU Dresden sinnieren drei Studenten bei einer Zigarettenpause über den Vorabend: Wie plötzlich das Gebäude mit einem Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr abgeriegelt und die Erstsemester ins angrenzende Hörsaalgebäude gebracht wurden. „Aber selbst die Leute mit den roten Schildern um den Hals, die verletzt sein sollten, liefen hier gemütlich raus“, sagt einer von ihnen.
Trotzdem waren alle 65 Studenten aus dem Labor, in dem es plötzlich intensiv nach Knoblauch gerochen hatte und einem Studenten übel geworden war, in verschiedene Krankenhäuser gebracht worden. Der Verdacht: Arsan, eine hochgiftige Arsenwasserstoff-Verbindung habe den Geruch hervorgerufen. Die Studenten mussten im Krankenhaus duschen, Blut und Urin abgeben und wurden mittels EKG überwacht. Denn Arsan kann durch das Einatmen in die Lunge und von dort ins Blut gelangen, wo es zur Auflösung der roten Blutkörperchen führen kann. Laut Polizei haben die Ärzte jedoch bei keinem der eingelieferten Vergiftungssymptome festgestellt.
Am Tag danach werden alle Betroffenen wieder aus den Krankenhäusern entlassen. Einige von ihnen kehren in den Chemie-Neubau an der Bergstraße zurück, um ihre persönlichen Sachen abzuholen. Die weißen Laborkittel vom Vortag liegen gesammelt auf einer Bank unweit des Labors, in dem der Vorfall passiert ist. Weil sie keine Rückstände giftiger Stoffe aufweisen, können die Studenten darin nach den Schlüsseln für ihre Spinte suchen. „Wo genau der Knoblauchgeruch herkam, kann ich nicht sagen. Aber 50 Leute können sich ja nicht geirrt haben“, sagt einer der Erstsemester beim Kramen.
Der ursprüngliche Verdacht auf Arsenwasserstoff hat sich nicht bestätigt. „Die Untersuchungen gestern und heute haben keinerlei Hinweise auf giftige Gase im Labor gegeben“, sagt Professor Stefan Kaskel. Er leitet den Bereich Anorganische Chemie I und zeigt das mittlerweile wieder freigegebene Labor, in dem noch wenige Stunden zuvor die Kriminalpolizei ermittelt hat. Der 42-Jährige hat die Erstsemester am Vortag selbst nicht betreut, weiß aber, wie deren Pflichtpraktikum abläuft. „Die Studenten haben Experimente zur anorganischen Chemie gemacht. Dabei werden Nachweise zu chemischen Verbindungen durchgeführt.“ Jeder Student habe eine eigene, unbekannte Substanz bekommen, bei der über Tests nachgewiesen werden musste, welche Elemente darin vorhanden sind.
Mit Gefahrenstoffen umgehen
Auf den Labortischen liegen noch Petrischalen und Tüpfelplatten, in denen sich dunkle Krusten gebildet haben. Daneben stehen kleine Fläschchen mit Wasserstoffperoxid oder Natriumhydroxid. Alles ist haargenau so, wie es die Studenten am Vorabend wegen der Evakuierung zurückgelassen haben.
„Prinzipiell können bei den Experimenten Stoffe entstehen, die zu einer starken Geruchsbelästigung führen oder die giftig sind“, sagt Kaskel. Während des Studiums sollten die Studenten aber auch lernen, mit Gefahrenstoffen umzugehen. Bevor sie jedoch erstmals für Experimente in das Labor gelassen werden, erhalten sie nicht nur eine Sicherheitsbelehrung, sondern müssen in einem Protokoll mögliche Gefahren benennen. Dazu gehört auch die Wirkung des hochgiftigen Arsan, das beim Nachweis von Arsen freigesetzt wird. „Prinzipiell wird der Test hier durchgeführt und es ist durchaus möglich, dass Arsan entstanden ist.“ Dieses werde aber lediglich in ganz geringen Mengen freigesetzt. Der Test erfolgt zudem unter der Abzugshaube, so dass sich giftige Gase nicht ausbreiten können.
Ihm zufolge waren neben dem Dozenten drei Assistenten im Labor. Als der intensive Knoblauchgeruch bemerkt wurde und ein Student plötzlich über Übelkeit klagte, hätten sie mit der Alarmierung des Rettungsdienstes richtig gehandelt. „Es hätte ja auch ein Anschlag sein können“, sagt Kaskel. Auch defekte Leitungen oder eine kaputte Lüftungsanlage könnten Ursache für den plötzlich auftretenden Geruch sein. Der hochmoderne Chemietrakt wurde erst vor anderthalb Jahren mit dem Neubau dieses Gebäudeteils eingeweiht. Pro Stunde wird die Luft darin acht Mal komplett ausgewechselt.