Von Andreas Stempel
Wie feiert man eigentlich richtig Silvester? Wird es ein „Dinner for one“ oder eine ausgelassene Party unter Freunden, mit Witz, Tanz und Feuerwerk? Erlebe ich die Mitternacht auf der Straße, etwa in Meißen auf der Schlossbrücke, falle dort wildfremden Menschen um den Hals und wünsche ihnen ein frohes neues Jahr?
Oder erahne ich nur noch das neue Jahr im Vollrausch, lass von Knallern und Raketen bedroht meinen Schutzengel richtig arbeiten? Es geht in Meißen auch anders. Im Dom oder in der Martinskapelle nüchtern oder beinahe nüchtern, betend die zwölf Glockenschläge zu Mitternacht abwarten, dann mit der Gemeinde aufstehen und unter vollem Glockengeläut ein Danklied singen.
Gute Vorsätze
Mancher tut überhaupt nicht dergleichen, geht rechtzeitig zu Bett, steht früh auf und genießt den ausgesprochen stillen Neujahrsmorgen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, über den Jahreswechsel zu kommen. Eine Gemeinsamkeit lässt sich nicht leugnen: Das Thema der beiden Tage, Silvester und Neujahr, ist und bleibt die „Zeit“. Ein Rückblick auf das vergangene Jahr legt sich nahe, Zeit, die nicht wieder kommt. Auch der Ausblick auf das neue Jahr kann reizvoll sein, er regt zu guten Vorsätzen an.
Im Laufe meiner etwa 50 bewusst erlebten Jahreswechsel habe ich an mir eine interessante Entdeckung gemacht: Die Vorstellung von Zeit und meine Empfindungen beim Erleben der Zeit haben sich deutlich geändert. War früher Zeit in Hülle und Fülle vorhanden, ja ging sie einfach nicht schnell genug vorüber, muss ich mir heute bewusst Zeit nehmen, um den beschleunigten Ablauf der Dinge irgendwie zu bremsen. Ruckzuck ist wieder ein Jahr vorüber und ich kann gerade noch froh sein, wenn nicht schlimme Dinge im familiären Umkreis geschehen sind. Der Zug meines Lebens war einst eine Bimmelbahn, unterdessen ist ein Intercity draus geworden. Aber wo fährt der Zug hin? Was ist das Ziel?
Wer sich diese Fragen stellt, ahnt, warum zum Jahreswechsel die Glocken der Kirchen läuten. Sie klingen in nachlassenden Raketen- und Böllerlärm einfach schön. Unüberhörbar erinnern sie uns daran: Stell´ die Frage nach dem Ziel und suche eine Antwort darauf. Die Zeit, die dir verbleibt, ist nicht unendlich. In den Kirchen, zu denen normalerweise die Glocken gehören, wird seit vielen Jahrhunderten eine tiefgründige Antwort auch die Frage nach der persönlichen Lebenszeit gegeben. Die Antwort entstammt der Bibel. „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31,16), betete einst der sagenumwobene König David in Alt-Israel, und vertraute sein Leben Gott an. Ihm waren die eigenen groben Fehler bewusst geworden. Seiner eigenen Kraft vertraute er nicht mehr. Er wandte sich an Gott.
Wenn die Lebenszeit eines Menschen abgelaufen ist, hört man im Falle einer christlichen Bestattung am Grab häufig folgendes Gebet aus der Heiligen Schrift: „Herr, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurde, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Der du die Menschen lässest sterben und sprichst: Kommt wieder Menschenkinder! Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist…Herr lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (aus Psalm 90).
Kraft für den Alltag
Was hast du von Gott? So wurde ich schon häufig gefragt. Mit der Bibel möchte ich antworten: Lebensklugheit gewinnen und Kraft für die vielen Schwierigkeiten des Alltags. Im Glauben an den Schöpfer unseres Universums und im Vertrauen auf Jesus Christus spüre ich eine große Kraft. Sie verleiht meinem Leben Wurzeln, dazu Zuversicht in meine Zukunft und die meiner Kinder.
Im Vertrauen auf Gott bemerke ich, dass meine Lebenszeit einen Sinn hat. In der Bibel lese ich von Jesus Christus und merke dabei, wie er mir hilft, meinen ganz persönlichen Weg zu finden. Das ist alles andere als weltabgewandte Spinnerei. Im Gegenteil. Es macht das Leben manchmal nicht ganz einfach, aber interessant. Gott stellt mir die Lebensaufgabe, der Zug hat sein Ziel bei ihm.
Andreas Stempel ist Superintendent