Von Sabine Larbig
Gablenz. Eigentlich wollte Karl-Heinz Krahl nicht mit mir über die letzten 29 Jahre, in denen er ununterbrochen als parteiloser Gemeinderat für die Fraktion Die Linke tätig war, reden. Oder über seine drei Jahre Gemeinderat zu DDR-Zeiten. Nun sitzen wir doch zusammen. Im Garten, für den Kalle – wie ihn alle in Gablenz rufen – bald mehr Zeit hat, weil er nicht mehr für den Gemeinderat von Gablenz kandidierte.
„Ach Mädchen, was soll ich Dir erzählen? Ich habe eben lange mitgemacht und gut“ sagt er, zieht seine Augenbrauen hoch, lehnt sich im Gartenstuhl zurück und lächelt verschmitzt. Doch so leicht gebe ich nicht auf. In der Ratssitzung Anfang Mai wurden er und zwei weitere einstige Räte bereits offiziell verabschiedet und mit Dankesworten bedacht. Doch ich will von ihm erfahren, wie es einst und heute so war als Kommunalpolitiker, den jeder Einwohner kennt. Und ob es auch gleiche Probleme gab und wie man sie löste. Gefühlte 1 000 Fragen schwirren in meinem Kopf. Aber gleich am Anfang unseres Gesprächs bremst Kalle, Jahrgang 1943 und gebürtiger Gablenzer, mich aus. Er erzählt von seiner Kindheit und Schulzeit im Ort. Damals, als Gablenz noch eine eigene Schule und 1 600 Einwohner hatte. So viel, wie Gablenz und Kromlau heute zusammen aufbringen.
Karl-Heinz Krahl plaudert auch über seine Lehre in der Keula-Hütte in Krauschwitz, wo er Betriebsschlosser lernte, von den vielen Arbeitsjahren in den Oberlausitzer Glaswerken in Weißwasser und von seiner großen Verbundenheit zu Gemeindefeuerwehr Gablenz, in die er 1961 eintrat und für die er 50 Jahre aktiven Dienst leistete, sowie vom ständigen Ankämpfen gegen die Werbungsversuche für einen Eintritt in die SED. „Das habe ich immer abgelehnt.“ Auf einmal erzählt Kalle auch von 1962, als ein FDJ-Gemeinderat aus Gablenz zur Armee musste. „Da hat mich die FDJ an seiner Stelle einfach in den Rat delegiert, obwohl ich nicht wollte.“ Und so landet unsere Unterhaltung plötzlich doch bei seiner kommunalpolitischen Ära. Wie ich weiter erfahre, war er insgesamt drei Jahre im Gemeinderat. Damals habe er beispielsweise zugestimmt, dass Petrick’s Gasthaus samt Saal ausgebaut und saniert wird, damit Schulküche, Essenaufzug und ein großer Speisesaal, in dem die Leute auch tanzen und feiern konnten, dort einziehen. 500 freiwillige Arbeitsstunden habe er auf der Baustelle geleistet. „Dafür gab’s Bier und Bockwurst. Aber es war ja für die Kinder“, bekennt der Gablenzer.
Fast nebenbei erfahre ich, dass in dieser Zeit auch Hochzeit, Geburt von Tochter Karin und der Kauf eines Grundstücks in Gablenz – auf dem die junge Familie ein Häuschen baute, bevor Sohn Andreas zur Welt kam – lagen. Und Kalle erzählt, dass im DDR-Gemeinderat „schon offen diskutiert, Probleme angesprochen und manches durchgeboxt“ wurde. So wie der Bau von Feuerlöschteichen. Oder als die Feuerwehr Gablenz im Jahr 1972 technische Hilfe bei der Sanierung des Kirchturms leistete, obwohl es von „hoher Stelle“ untersagt worden war. „Ich hab damals gefragt: Sollen wir auch daneben stehen und zugucken, wenn mal die Kirche brennt? Da hat keiner mehr was gegen die Hilfe gesagt.“
Zu diesen Zeiten hätte Karl-Heinz Krahl nie gedacht, irgendwann wieder im Gemeinderat zu sitzen. Und dies sogar 29 Jahre ohne Unterbrechung. Doch nach der Wende, als 1990 erste freie und demokratische Wahlen in der DDR stattfanden, trat genau dies durch Ehefrau Bärbel ein. „Die sagte eines Tages zu mir: Mach doch bei den Linken mit. Die brauchen noch Kandidaten. Ich dachte zwar, ich krieg sowieso keine Stimmen. Aber ich hatte die Zweitmeisten und musste keine Klinken putzen“, sagt er rückblickend mit Stolz in der Stimme. „Aber sicher lag das nur daran, weil mich durch die Feuerwehr jeder kannte.“ Möglicherweise. Aber warum wählte die Leute ihn immer wieder, selbst nachdem Gablenz und Kromlau sich zusammenschlossen? „Ja, irgendwie ging es ratzifatzi und ich war wieder drin. Vielleicht, weil ich immer Pulver gegeben habe und ein harter Hund war“, sagt Kalle mit spitzbübischem Lächeln.
Sich immer für die Kinder, für die Wehr, ein schöneres Ortsbild, ein gutes Miteinander im Rat und in der Gemeinde und für die Probleme und Fragen der Bürger stark gemacht zu haben – dazu steht er. Auch, dass er sich durch die Frauen in seiner Familie stets für den Heimatverein und den Aufbau des Barthelshofs mit eingesetzt habe. „Auf der Baustelle habe ich ständig gestanden. Jetzt bin ich, wie bei der Feuerwehr, dort Ehrenmitglied.“
Karl-Heinz Krahl bekennt aber auch, dass es in den vielen Jahren als Gemeinderat auch Beschlüsse gab, die ihm schwerfielen. „Mir hat manches nicht gefallen und und mich aufgeregt. Einige Entscheidungen fielen mir auch sehr schwer. Beispielsweise, als wir die Schule schließen mussten, weil es zu wenig Kinder im Ort gab und immer mehr Familien wegzogen“, so der 75-Jährige. Geärgert habe ihn ebenfalls, dass nach der Wende immer weniger Leute zu Arbeitseinsätzen im Ort bereit waren. Oder dass Gablenz 1996 letztlich nicht die vom Freistaat versprochenen 90 000 D-Mark für den Zusammenschluss mit Kromlau erhielt; dass Unkraut aus den Gehsteigen wächst, weil die Bürger die Flächen vor ihren Grundstücken nicht mehr pflegen wie früher; dass inzwischen 13 Häuser in Gablenz leer stehen und es keinen Bäcker, Fleischer oder Laden mehr im Ort gibt.
All diese Probleme lässt Karl-Heinz Krahl jetzt hinter sich. Zumindest als Gemeinderat. Loslassen wird ihn die Dorfpolitik jedoch nicht. Zum einen, weil Tochter Karin als Gemeinderätin erneut kandidiert. Zum anderen, weil Kalle darauf hofft, dass die Gemeinde möglichst lange eigenständig bleiben kann und das künftig, wenn im Kromlauer Park die großen Baustellen beendet sind, wieder mehr in Gablenz investiert wird. Vor allem aber hofft der Ex-Gemeinderat darauf, dass die Räte weiterhin über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten. „Ach Mädchen, was soll ich Dir erzählen? „Es muss mal Schluss sein. Ich will jetzt die Zeit mit meiner Frau genießen und Arbeit habe ich auch genug. Aber wenn man mich braucht, helfe ich schon“, sagt er zum Abschied.
Und da ist es wieder, dieses verschmitzte typische Kalle-Lächeln.