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„Es war ein großer Fehler, die Sanierung der Stadthalle abzublasen“

Ex-OB Joachim Paulick erklärt, wie die Wählervereinigung „Zur Sache“ sparen und Steuern senken will.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Sebastian Beutler

Herr Paulick, vor fünf Jahren zur Stadtratswahl hatte die Wählervereinigung „Zur Sache“ ein Programm mit über 30 Seiten vorgelegt. Jetzt kommen Sie mit vier Seiten aus. Hat Görlitz keine Probleme mehr?

Sicher nicht. Vor fünf Jahren traten wir das erste Mal an, da mussten wir uns erst einmal bekannt machen. Das ist jetzt nicht der Fall. Daher haben wir uns kurz gefasst und aufs Wesentliche konzentriert, also auf die Politikfelder, die uns wichtig sind.

Welche sind denn das?

Ganz vorne steht die städtische Finanzlage. Wir müssen alles tun, um die eigene Finanzhoheit zu behalten, um genügend Mittel für eigene Projekte zu haben. Ich habe die Sorge, dass im Moment in der Stadtpolitik ein Kurs verfolgt wird, der mittelfristig enorme Mehrausgaben, zum Beispiel beim Personal, zur Folge hat. Denken Sie an die geplanten zusätzlichen Stellen beim Jugendzentrum, bei der Familienstelle oder der Bürgerbeteiligung. Der letzte Bescheid des Landkreises als Aufsichtsbehörde hat der Stadt bescheinigt, dass bis 2016 wieder Haushaltslöcher entstehen können. Das erinnert mich sehr an die Lage Mitte der 2000er Jahren, als ich den Haushalt mit einem Minus von zehn Millionen Euro pro Jahr übernommen habe.

Derzeit werden so viele eigene Projekte wie lange nicht lanciert: Sie nannten bereits drei, dazu kommt der Ausbau der Schul- und Betreuungslandschaft, auch das Stadion der Freundschaft. Es scheint doch alles im Lot zu sein.

Es scheint so. Aber ich fürchte, der Schein trügt. Und das wird in wenigen Monaten zu erkennen sein. Beim Jugendzentrum gibt es weder eine komplette Kostenermittlung noch ein Betreiberkonzept oder einen Betreiber. Ich bin sehr skeptisch, dass überhaupt der Bedarf für dieses Zentrum besteht. Jugendliche aus anderen Clubs haben uns in Gesprächen immer wieder ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass sie dann weniger Geld bekommen. Auch bei der Bürgerbeteiligung kann man ohne die geplanten großen Summen schon viel machen: Bürgerversammlungen, Umfragen, auch mal ein Bürgerentscheid. Dafür benötigt man keine neue Stelle. Oder die Prüfung, ob Görlitz eine familienfreundliche Stadt ist. Da kommt auch nichts Neues heraus, das meiste wissen wir. Zum Beispiel, dass wir uns verstärkt darum kümmern müssen, dass Alleinerziehende auch einen Job bekommen können.

Viele Ihrer Mitbewerber sehen vor allem den Freistaat in der Pflicht, mehr Geld den Kommunen zu überweisen. Sehen Sie das auch so?

Es gibt den Punkt der Kita-Finanzierung. Da fordern die Gemeinden zu Recht seit Jahren eine höhere finanzielle Unterstützung durch das Land. Generell aber ist es der falsche Weg, nur auf den Freistaat zu hoffen. Der hat richtigerweise ein Verschuldungsverbot beschlossen und geringe Spielräume. Außerdem endet im Jahr 2019 der Solidarpakt II, das ist seit Jahren bekannt. Wir selbst müssen die Probleme lösen.

In dieser Situation schlagen Sie eine Senkung bei Gewerbe- oder Grundsteuer vor. Wie passt das zusammen?

Ich hatte noch als OB eine Steuersenkung im Stadtrat eingebracht, die abgelehnt wurde. Wir stehen im Wettbewerb mit anderen Städten. Und wenn die Investoren sich die Bedingungen an einem Standort auflisten lassen, dann stehen die Hebesätze auf der Liste. Sicher spielen Grundstückspreise und Arbeitskräfte-Situation die wichtigste Rolle, aber die Unternehmer schauen auch auf die Steuern.

OB Deinege sagt, Görlitzer Unternehmen zahlen kaum Gewerbesteuer, und daher wären die wirtschaftsfördernden Effekte durch eine Senkung der Steuer überschaubar.

Die Stadt nimmt schon eine erkleckliche Summe an Gewerbesteuern ein. Wenn es nicht so wäre, dann würden die Wirtschaftsverbände das Thema nicht immer wieder in den Vordergrund rücken. Wenn wir eine wachsende Wirtschaft haben, dann werden diese Firmen auch Gewerbesteuer zahlen. Und das trifft vor allem die klein- und mittelständischen Firmen. Deswegen finde ich, wäre es fair, ihnen auch wieder Geld zurückzugeben, das wir einmal ihnen abverlangt haben.

Wie meinen Sie das?

2006 haben wir die kommunalen Steuern erhöht, um die damaligen Haushaltsdefizite auszugleichen und Zeit zu haben, um unsere strukturellen Probleme zu lösen. Das Geld haben wir damals gerne von Firmen und Bürgern genommen. Jetzt, wo es möglich ist, sollten wir das auch ein Stück weit wieder zurückgeben. Nur wird es im nächsten Haushalt noch nicht möglich sein. Erst müssen alle Ausgaben auf den Prüfstand. Aber wenn der Stadtrat darauf das Hauptaugenmerk legt, dann können wir mittelfristig die Gewerbe- oder Grundsteuer wieder senken.

Viele Ihrer Mitbewerber werfen Ihnen auch Versäumnisse in Ihrer Amtszeit vor: Die Umstellung auf die doppelte Buchführung sei verschleppt worden beispielsweise. Fürchten Sie nicht, dass Ihre OB-Amtszeit im Wahlkampf wieder thematisiert wird?

Nein, das glaube ich nicht. Und dann muss man ja auch sehen, wie viele positive Dinge wir bewegt haben – im Übrigen fast immer mit dem Stadtrat zusammen. Der Schulhausbau zum Beispiel. Da freue ich mich sehr, dass diese Politik, die wir 2006 begonnen haben, so konsequent fortgesetzt wird. Oder in der Haushaltspolitik: Ich habe mit 10 Millionen Defizit pro Jahr begonnen und habe mit 10 Millionen Überschuss 2012 übergeben – und dabei nichts schließen müssen. Darauf bin ich stolz. Bei der Doppik ist es so, dass die Umstellung auch entgegen meiner Erwartungen von der Verwaltung nicht so umgesetzt wurde. Ich bin davon ausgegangen, dass seit 1990 die Grundstücke fortlaufend bewertet wurden. Das war aber nicht der Fall. Das fällt uns auf die Füße. Aber nun geht es um die Zukunft, und da finde ich, dass wir manchmal vor lauter Großprojekten gar nicht mehr über Naheliegendes reden: Bessere Bürgersteige und Straßen, den Schutz unserer Gymnasiasten vor Alkohol- und Drogenkonsum durch eine passgenaue Satzung für den Marienplatz, den ÖPNV, ein intaktes Wohnumfeld, damit die Vermieter ihre Wohnungen vermarkten können.

Ein Großprojekt findet sich aber auch bei Ihnen: die Sanierung der Stadthalle. Da herrscht ja im Moment eine große Ratlosigkeit, wie es weitergehen soll. Haben Sie eine gute Idee?

Die Aufgabe der Stadthalle wird von „Zur Sache“ definiert als Europäisches Kultur- und Begegnungszentrums. Die Stadthalle hat so viele Räume, dass hier Angebote für Jung und Alt, für Kultur und Sport, für Freizeit und vieles mehr stattfinden können. Es war ein großer Fehler, die mit großer Hilfe des Freistaates durchfinanzierte Sanierung der Stadthalle abzublasen. Man schlägt nicht die Hand, die einen füttert, sagt der Volksmund. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, die Halle als bespielbare Baustelle zu nutzen. Da hat die Bauaufsicht doch gerade zur Nutzung des großen Saales ein klares Wort gesprochen. Und ob nochmals ein privater Investor gefunden werden kann, da hege ich ebenfalls Zweifel. Es bleibt nur, dass wir die Halle in einem großen Kraftakt sanieren.

In Ihrem Wahlprogramm spielen Transparenz und Offenheit des Stadtrates und der Verwaltung gegenüber der Öffentlichkeit eine große Rolle. Sehen Sie denn Filz in Görlitz am Werke?

Die Stadträte der Fraktion „Zur Sache/SPD“, aber auch aus anderen Fraktionen beklagen, dass sie sich nicht richtig informiert fühlen oder zu Entscheidungen gedrängt werden, deren Folgen sie nicht überblicken. Da hilft nur Offenheit, warum soll was wie und mit welchen Folgen beschlossen werden. Denken Sie an das Jugendzentrum, wo all das nicht vorliegt. Oder der Fall eines Görlitzer Stadtrates, dem nicht-öffentlich im Technischen Ausschuss ein Auftrag zugebilligt wurde. Das Gegenteil wäre nötig gewesen: Ein öffentlicher Beschluss, damit auch alle sehen können, da wird nicht gemauschelt. Sonst schaffen wir Misstrauen, und das ist das Schlimmste in einer Demokratie. Wenn alles sauber läuft und auch öffentlich erklärt wird, gibt es weniger Misstrauen.

Vor fünf Jahren erreichten Sie aus dem Stand 13 Prozent und fünf Sitze. Was ist dieses Mal Ihr Ziel?

Unser Ziel ist mindestens das Ergebnis von der letzten Wahl zu erreichen, vielleicht auch einen Sitz mehr. Wir haben gut in der Fraktion mit der SPD zusammengearbeitet, hatten besonders in Frau Schwarze eine profunde Kennerin der Kommunalpolitik. Natürlich kann man als kleine Fraktion nicht die Stadtpolitik in jeder Frage bestimmen, aber wir legen den Finger kritisch in die Wunden und fragen nach, schaffen Transparenz und machen Vorschläge. Das ist genauso wichtig.

Die SPD will mit Ihnen aber keine Fraktionsgemeinschaft mehr bilden.

Da warten wir mal die Wahl ab. Jeder hat den Anspruch, eine eigene Fraktion zu gründen. Ich wünsche der SPD auch viel Erfolg bei der Wahl. Danach werden wir wissen, ob es Parteien gibt, die mit uns und mit denen wir zusammenarbeiten wollen.