Von unserem KorrespondentenUlrich Heyden, Moskau
Der Handel mit Russland floriert. Im ersten Halbjahr vergangenen Jahres verkauften deutsche Unternehmen Waren im Wert von 5,3 Milliarden Euro nach Russland – eine Steigerung von 24 Prozent gegenüber dem vorigen Jahr.
Die Lastkraftwagen mit den deutschen Waren rollen meist über die Straße nach Moskau und St. Petersburg. Doch der russische Zoll gleicht auch Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch einem Nadelöhr. Technisch schlecht ausgerüstete und bestechliche Zollbeamte, lange Wartezeiten und immer neue Zoll-Gesetze – in den vergangenen fünf Jahren wurden 6 000 neue Bestimmungen erlassen – bereiten so manchem deutschen Unternehmer schlaflose Nächte.
Falsche Zollpapiere sind gängige Praxis
In der Hoffnung auf weniger Arbeit und geringere Kosten lassen viele deutsche Unternehmen ihre Waren von russischen Firmen transportieren. Doch auch das erwies sich nicht immer als gute Lösung. Russische Importeure haben nicht den besten Ruf. So sei es gängige Praxis Ware falsch zu deklarieren, um sie im Preis herunterzusetzen, berichtet Kerstin Dauenheimer, Vorsitzende des Komitees für Außenhandel beim Verband der deutschen Wirtschaft in der russischen Föderation. Außerdem würde Exportgut über Finnland nach Russland geschafft, um Zollgebühren zu sparen, so Dauenheimer. Durch die gefälschten Zollanträge gehen dem russischen Staat einige Millionen Rubel Gebühren verloren. Denn ein großer Teil wertvoller Export-Güter landet durch die gefälschten Papiere statt in der höchsten Gebührenkategorie von 20 Prozent in der niedrigsten von fünf Prozent.
Groteske Blüten trieb die falschen Deklarierung von Importware vor einigen Jahren. Damals tauchten in einer russischen Import-Statistik 60 Millionen Tonnen Radiergummis auf. Der Grund: Teure Waren mit nur geringem Gummi-Anteil waren als Radiergummis angemeldet worden und damit in der untersten Zoll-Kategorie gelandet.
Der Wunsch einiger Firmen, Zollgebühren zu sparen, hat sogar einen neuen Berufsstand ausgebildet – den Broker. Sie vermitteln zwischen russischem Zoll und Importeuren und regeln die Abfertigung eines Lastzuges mit einem Warenwert von 40 000 Euro mit einem „Trinkgeld“ von 500 oder 1 000 Dollar.
„So kann man bis zu 35 Prozent der Zollgebühren sparen,“ sagt Kerstin Dauenheimer. Als Geschäftsführerin des Möbel-Spediteurs Hasenkamp in Moskau kennt sie Probleme aus ihrer täglichen Praxis. Die Zoll-Spezialistin hat gute Kontakte zum staatlichen russischen Zoll-Komitee und ist von dessen Reform-Absichten überzeugt. Das Komitee appelliere an die am Russland-Geschäft interessierten deutschen Unternehmen, russische Tochterunternehmen zu gründen. Durch die enge Zusammenarbeit mit einer überschaubaren Zahl deutscher Importeure hofft man den grauen Markt beim russischen Zoll austrocknen zu können. Doch das sei nicht einfach, sagt Dauenheimer. Einerseits fürchteten deutsche Firmen bei Verzicht auf russische Importeure Umsatzeinbußen, andererseits könnten es sich namhafte Unternehmen mit langfristigen Absichten in Russland nicht leisten, ihren Ruf durch windige Importeure zu schädigen. Außerdem wollen deutsche Firmen es nicht zulassen, dass ihre Produkte unter Preis verkauft werden. Oft tauchen deutsche Elektrogeräte zu Niedrigpreisen in russischen Geschäften auf, nachdem sie mit gefälschten Papieren durch den Zoll gebracht wurden.
„In Verdacht geratenen Importeuren ist sehr schwer auf die Schliche zu kommen“, meint die deutsche Spediteurin. Denn um eine Firma in Russland zu gründen, reichten 230 Euro Stammkapital. Und fiktive juristische Adressen seien in Moskau problemlos zu kaufen, so Dauenheimer. Um die Bestechlichkeit der Zollbeamten zu bekämpfen, müssten zunächst einmal die Monatsgehälter von umgerechnet 90 Euro erhöht werden, sagt die Zoll-Expertin.
Doch statt die Gehälter anzuheben hat die Regierung zwei Dritteln der 60 000 Zollbeamten erst einmal ihre Privilegien genommen. Die Beamten waren bisher dem Militär angegliedert und genossen deshalb Vergünstigungen wie Zuschüsse zur Wohnung und kostenlosen Nahverkehr. Darauf muss der Großteil der Zoll-Beamten jetzt verzichten.