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Falsche Polizisten erbeuten Hunderttausende

Die Betrüger sitzen in der Türkei – und erzählen ihren betagten Opfern am Telefon abenteuerliche Geschichten. Eine Frau aus Dresden hatte dennoch Glück.

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Von Alexander Schneider

Gerda H. erinnert sich noch genau an den ersten Anruf. „Sind Sie Gerda H.? Sie sind in Lebensgefahr“, habe der Mann gesagt, der sich ihr an jenem Samstagabend Ende März als Kommissar Brause vom Bundeskriminalamt (BKA) vorstellte. Was dann kam, war ein Albtraum für die 78-jährige Rentnerin aus Dresden, die selbstverständlich nicht Gerda H. heißt und ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Die Frau hatte Betrügern ihre gesamten Ersparnisse ausgehändigt. Das war ihr so peinlich, dass sie am liebsten gestorben wäre. „Ich wusste nicht mehr weiter.“ Sie habe schon Schlaftabletten auf die Seite gelegt. Ihrer Familie habe sie bis heute nichts davon erzählt, nur einem Sohn.

Der falsche BKA-Beamte Brause habe ihr von einer Gaunerbande berichtet, hinter der er her sei. Er habe Hinweise, die drei Bulgaren planten einen Einbruch bei ihr, erzählt Frau H. Außerdem hätten die Täter wegen einer kriminellen Bank-Mitarbeiterin Zugang zu ihrem Konto, ihr Geld sei dort nicht mehr sicher. Brause rief täglich bei der Frau an und erfuhr von ihr vieles, was man Fremden nicht sagt, ihren Kontostand etwa. Brause verlangte von der Frau, weder zur Dresdner Polizei zu gehen noch ihrer Familie davon zu erzählen. Irgendwie hat er es geschafft, die rüstige Dame so zu verängstigen, dass sie ihre gesamten Ersparnisse, 23 000 Euro, abhob, in einen Umschlag packte und einer Geldbotin in die Hand drückte. Am nächsten Tag dämmerte der Frau, dass sie wohl Betrügern auf den Leim gegangen war. Sie rief die echte Polizei an – der Albtraum begann.

Während nun die Dresdner Kripo eine der bislang perfidesten Betrugsmaschen in der Stadt aufdeckte, rief Brause noch immer täglich bei Gerda H. an. Er wollte sicherstellen, dass sie nicht zur Polizei geht. Sie fragte ihn, ob er denn morgens überhaupt noch in den Spiegel schauen könne? „Das hat den gar nicht interessiert“, sagte Gerda H. Noch heute regt sie sich über das aalglatte Desinteresse des Täters auf – und ärgert sich gleich wieder über sich selbst: „Ach, ich schäme mich so.“

Die Polizei ist sicher, dass sie es mit ausgekochten Profis zu tun hat. Die Spuren führen zu einer organisierten Bande in der Türkei, die in Call-Centern gezielt betagte deutsche Senioren anruft, bundesweit. Das erkennen die Geschädigten jedoch nicht – auf ihren Telefonen erscheinen Nummern der Polizei. Den Trick, Nummern bei Internet-Telefonaten zu manipulieren, nennt die Polizei „Call IP Spoofing“.

Noch im April ermittelte die Kripo zwei weitere Betrugsopfer in Dresden, Rentnerinnen. Auch sie wurden von den Betrügern um ihr ganzes Vermögen gebracht – eine Frau büßte 60 000 Euro ein, die andere 115 000. Und schlimmer noch: Eine ebenfalls 78-jährige Frau hatte sich von den Tätern als Kurier missbrauchen lassen. Im Glauben, sie sei als „verdeckte Ermittlerin“ für das BKA unterwegs, holte sie den Umschlag bei Gerda H. ab. Anschließend schickte sie die angeblichen „Beweismittel“ zu einer vermeintlichen Staatsanwältin nach Mecklenburg-Vorpommern. Tatsächlich war auch diese Rentnerin eine „Finanzagentin“, die das Geld weiterleitete.

Als Einzige hatte Gerda H. jedoch unbeschreibliches Glück. Ihre 23 000 Euro fand die Polizei noch im April bei einem Finanzagenten in Nordrhein-Westfalen, selbst ein Opfer, das um mehr als 100 000 Euro erleichtert worden war. Die Summe war noch mit den Banderolen der Sparkasse Dresden gebündelt. So ließ sich das Geld Gerda H. zuordnen – und nur deshalb hatte sie es vor wenigen Tagen zurückerhalten. Zuvor wurden die Scheine kriminaltechnisch auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren untersucht. Gerda H. zahlte ihr Geld gleich wieder in der Bank ein. „Ich bin so glücklich“, bedankte sich die Frau, als die Betrugsermittler ihr das Geld überbrachten.

Die Dresdner Polizei teilte mit, dass noch im April vier weitere Taten in Dresden in letzter Sekunde verhindert werden konnten – wieder mit bis zu 130 000 Euro. Auch bundesweit haben die Kripobeamten mehrere Taten mit einer Summe von knapp einer halben Million Euro vereitelt. Doch die Beamten gehen davon aus, dass es weitere Opfer gibt, die nicht den Mut hatten, zur Polizei zu gehen. Die Betrüger sind schon länger mit dem Telefon-Trick unterwegs. Doch die Dimensionen, vor allem, dass Geschädigte auch noch als „Kurier“ eingesetzt wurden, seien neu.

Die Polizei warnt davor, Fremden am Telefon über das eigene Vermögen zu berichten. Die Polizei würde Zeugen auch niemals bitten, Angehörigen nichts zu sagen. Das Geld sei auf der Bank sicher und vor allem versichert. Die Beamten bitten daher mögliche Opfer dieser Masche, sich ihnen anzuvertrauen. Hinweise an 0351 4832233.