Familiäres Leben in der Senioren-WG

Von Silke Richter
Hoyerswerda. Die Tür geht auf und es scheint, als sei man bei einer großen Patchworkfamilie zu Besuch. Es riecht nach frisch gebackenem Kuchen. Alles wirkt gemütlich, sehr einladend und irgendwie heimelig. Durch die großen Fenster dringt viel natürliches Tageslicht. Neben dem Herd sitzt eine ältere Frau und hilft in der großen Gemeinschaftsküche beim Kartoffelschälen.
Die Fahrstuhltür öffnet sich. Andreas Kern bringt einen Korb, der mit frischen Lebensmitteln gefüllt ist. Der Geschäftsmann ist der Betreiber der Seniorenwohngemeinschaft, deren Konzept in Hoyerswerda bislang einzigartig ist. Mit seinem Sohn Sebastian, dem die Einrichtung gehört, hat sich die Familie einen beruflichen Lebenstraum erfüllt. Die Idee dafür war schon länger da, aber bis dato fehlten die passenden Räumlichkeiten. Eher zufällig kam das Haus in der Heinrich-Heine-Straße 1 bei einem Besichtigungstermin für eine geplante Physiotherapiepraxis von Sebastian Kern in die engere Auswahl für die zukünftige Seniorengemeinschaft. Die Bedingungen und Voraussetzungen waren nach einer ersten Besichtigungstour nahezu perfekt. Im Untergeschoss befindet sich die Altstadtapotheke, das Altstadtzentrum, Banken und Geschäfte sind auch nicht weit. Und die Bushaltestelle ist quasi gleich vor der Tür.
Die ehemaligen Büroräume wurden baulich verändert und mit notwendigen Dingen ergänzt. Nach der Umbauphase, die im März vergangenen Jahres abgeschlossen wurde, sind neun großzügige barrierefrei gestaltete Wohneinheiten für alleinlebende Menschen oder Paare entstanden. Die Wohnungen verfügen jeweils über ein Badezimmer mit Dusche. Zur gemeinsamen Nutzung stehen eine große Küche, ein Gemeinschaftsbad mit hochmoderner Pflegebadewanne und ein gemütlicher Gemeinschaftsraum zur Verfügung.
Maximal zwölf Bewohner
Kurz danach sind die ersten sieben Senioren eingezogen. Innerhalb weniger Wochen war alles belegt. Zwölf Menschen wohnen seitdem im Betreuten Wohnen mit der Gewissheit, bis zum Lebensende auch bleiben zu dürfen. Ist eine Wohneinheit neu zu vermieten, dauert es nicht lange, bis sie wieder besetzt ist. Mittlerweile gibt es eine Warteliste. Denn mehr als zwölf Bewohner dürfen in der Einrichtung nicht leben. „Das ist gut und genauso gewollt. Nur so können wir jeden zufrieden und glücklich machen“, meint Betreiber Andreas Kern über das Alleinstellungsmerkmal.
Bewohner und auch deren Angehörige schätzen die besondere individuelle Atmosphäre, die mit sehr viel Liebe zum Detail und gemeinsamen Aktivitäten gestaltet wird. Wer lieber für sich ist, kann freilich auch gern in seinem Zimmer die Ruhe genießen. So, wie jeder mag. Das Konzept überzeugte auch Ramona Stange, die ihren Eltern vorschlug aus dem Pflegeheim, in dem sie bislang wohnten, auszuziehen und einen (letzten) Neuanfang zu wagen. Keine leichte Entscheidung. Heißt es doch: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Heute wohnt Familie Fischer schon knapp vier Monate im Betreuten Wohnen in der Altstadt. Ihren Entschluss, in der Senioren-WG einzuziehen, haben sie keinen Moment bereut. Werner Fischer hat plötzlich Spaß und Freude daran, sein Zimmer zu verlassen, sich an den Arbeiten in der Küche zu beteiligen oder mit anderen Bewohnern ins Gespräch zu kommen. Selbst zu kleinen Spaziergängen in den benachbarten Jürgen-von-Woyski-Park muss der Senior nicht lange überredet werden. „Wir werden hier sehr gut umsorgt und behütet. Es ist immer jemand da. Das tut gut“, meint Margot Fischer sichtlich zufrieden, die vor allem die Pflege schätzt und den Aspekt, dass sich stets feste Mitarbeiter um das Wohl der Bewohner kümmern. Rund um die Uhr ist dafür der Pflegedienst „Zur Sonnenblume“ von Vera Lidola zuständig. Renate Alpha gehört mit zu den ersten Bewohnern, die in die Heinestraße 1 eingezogen sind. „Ich habe glücklicherweise nicht das Gefühl, in einem großen Altenheim zu sein. Ich kann mich hier einbringen, wenn ich das möchte und selbstbestimmt leben und handeln. Wenn ich Hilfe brauche, ist sofort welche da“, meint die Seniorin. Annerose Wagner sieht das ähnlich. Die 86-Jährige ist froh darüber, dass sie für sich und ihren Mann, der nicht allein bleiben kann, eine Wohnung bekommen hat. Der Entschluss sei beiden nicht leichtgefallen. Lange Zeit hat sich das Paar dagegen gesträubt. Letztlich sei der Umzug aber die beste Entscheidung gewesen. „Ich mag das Überschaubare hier. Die Bewohner ergänzen sich gegenseitig. Auch bei der Wahl des Speiseplanes entscheiden wir alle gemeinsam. Es wird jeden Tag frisch gekocht. Das gefällt uns“, meint die 86-Jährige.
Momentan entstehen, losgelöst von der bereits bestehenden Einrichtung von Andreas und Sebastian Kern, unter Regie von Pflegedienstleiterin Vera Lidola im Obergeschoss des Hauses weitere Wohneinheiten mit ähnlichem Komfort und Konzept. Im Juni sollen bereits die ersten Bewohner einziehen können. „Die Nachfrage ist sehr groß. Es wurden bereits Vorverträge abgeschlossen“, erklärt Vera Lidola.