Von Holger Matthies
Eigentlich müssten Sie Stefan Lehmann fragen“, sagt der Mann im blauen T-Shirt. „Der weiß fast alles über Kino und Filme.“ Doch Stefan Lehmann ist nicht da. Es hilft nichts, Steffen Junghans – so heißt der Mann mit dem T-Shirt – muss selber Rede und Antwort stehen. Der 37-Jährige ist Filmvorführer im Kino „Michel Movie“ des Bautzener Steinhauses. Der Schriftzug „Clockwork Orange“ auf seinem T-Shirt, Titel eines Stanley-Kubrick-Klassikers, ist deutliches Indiz, dass er etwas für Filmkunst der anspruchsvolleren Sorte übrig hat.
Abseits des Popcorn-Kinos
„Das ist ein Geburtstagsgeschenk“, sagt Steffen Junghans. „Dieses T-Shirt gibt es nur zwei Mal auf der Welt.“ Eine Grafikstudentin hat es gefertigt, weil ihr der Kubrick-Film so gut gefiel, erzählt der Filmvorführer, der zu DDR-Zeiten den Beruf eines Baufacharbeiters erlernt hat. Im Steinhaus ist er seit 14 Jahren am Ball. „In meinem ersten Jahr habe ich Discotheken und kleinere Veranstaltungen betreut, das lief damals alles noch ehrenamtlich.“ Verantwortlich für das kleine Kino im zweiten Stock war seinerzeit ein Mitarbeiter namens Steffen Michel. „Das war ein Typ, der eine stark alternative Lebensweise gepflegt hat“, sagt Nachfolger Junghans. Steffen Michel ist nicht mehr da, er lebt heute auf einem Hausboot in der Nähe von Hamburg und kommt nur manchmal noch zur Weihnachtsfeier am Jahresende zu Besuch. Geblieben aber ist sein Name, der sich heute in der Bezeichnung des Lichtspieltheaters wiederfindet: „Michel Movie“.
Jeden zweiten Mittwochabend gibt es hier um 20.30 Uhr „Jungdynamischdramatischkomisches Kino der Extraklasse ohne Werbung vor dem Film“ zu sehen, wie man auf der Website des Steinhauses erfahren kann. „Wir wollen kein ‚Mainstream‘-Programm machen“, sagt Steffen Junghans und fügt hinzu: „Aber wir sind offen für alle. Es muss ein Interesse beim Publikum da sein.“ Das Publikum ist gemischt. „Bei der letzten Vorstellung, als ‚Napola‘ lief, war der jüngste Besucher 14, der älteste 58 Jahre alt“, bemerkt der Filmvorführer. „Neuerdings kommen auch wieder mehr Studenten, ansonsten haben wir ein Stammpublikum, das zwischen 16 und 25 Jahren alt ist.“
Popcorn-Kino aus Hollywood spielt im „Michel Movie“ keine Rolle, hier gibt es dafür jene Filme zu entdecken, für die in den auf Kommerz gepolten Großkinos oft kein Platz bleibt. Zur nächsten Vorstellung am 20. April steht „Das Netz“ auf dem Programm, ein Dokumentarfilm über den „Unabomber“, jenen geheimnisvollen Attentäter, der in den 90er Jahren in den USA Angst und Schrecken verbreitete.
Bei der Programmgestaltung verlässt sich Steffen Junghans auf den Spürsinn und die Tipps seines Publikums. Deshalb mag er es auch nicht, in den Vordergrund gerückt zu werden. Er erzählt von einem Jugendlichen, der kürzlich auf der Berlinale war und mit einer ganzen Reihe von Filmvorschlägen zurückkehrte. „Jetzt bin ich dabei, mich zu informieren, bei welchen Verleihen man diese Filme bekommt.“
Der kleine Saal, in dem auch die Theatertruppe probt, bietet Platz für 60 Zuschauer, die Leinwand an der Stirnseite misst drei mal vier Meter. Hinter der Wand am anderen Ende liegt der Vorführraum. Hier ist das Reich von Steffen Junghans. Neben dem großen Kontrollfenster zum Zuschauerraum hin befinden sich rechts und links zwei kleinere Fenster, vor jedem steht ein Vorführgerät älterer Bauart. „TK 35“ heißt das Modell. „Das haben wir damals gebraucht gekauft“, sagt der Filmvorführer. Sieben bis acht Mal muss er bei einem Film von anderthalb Stunden Länge die Rollen wechseln: Ist die erste Rolle auf dem Gerät vor dem linken Fenster abgelaufen, muss die nächste Rolle auf dem Gerät vor dem rechen Fenster bereits startbereit sein. Während die läuft, wird die folgende Filmrolle wieder auf das erste Gerät montiert. „Das ist richtig Arbeit, in Ruhe einen Film genießen, ist da nicht drin.“ Manchmal fehlen auf den Filmrollen die Umblendzeichen, an denen Steffen Junghans erkennt, wann die Rollen gewechselt werden müssen. „Das kommt besonders bei alten Kopien manchmal vor“, sagt er. Dann gibt es mitunter eine unverhoffte Unterbrechung: „Aber wir haben ein sehr dankbares Publikum, die nutzen das meist für eine Zigaretten- oder Toilettenpause.“