Von Manfred Müller
Großenhain. Ob denn Fledermäuse höher als ein Flugzeug fliegen können, fragt der kleine Jacob interessiert. Nun, auf etwa vier Kilometer brächten sie es nach neuesten Untersuchungen schon, bekommt er zur Antwort. Also immerhin höher als Kleinflugzeuge, wenn auch nicht so hoch wie große Linienmaschinen.
Der Vierjährige ist mit seinen Großeltern zur Fledermausnacht in den Großenhainer Stadtpark gekommen. Er verfolgt gebannt, wie die Großen Abendsegler einer nach dem anderen aus ihrer Baumhöhle gekrochen kommen und zur Insektenjagd auf den Lichtungen der Röderaue starten. Artenschützer Steffen Pocha hat einen „Bat-Detektor“ mitgebracht. Der Name des Gerätes leitet sich vom englischen Begriff für Fledermaus „bat“ her. Der Detektor „übersetzt“ die für den Menschen nicht wahrnehmbaren Fledermaus-Rufe in hörbare Frequenzen. Am Quarren, Quietschen und Zwitschern kann der Experte nicht nur die einzelnen Fledermausarten unterscheiden, sondern auch den Zweck der Lautäußerungen. Am Samstagabend ist es die Jagd, zu der Große Abendsegler dreimal pro Nacht aufbrechen – in der Abenddämmerung, gegen Mitternacht und dann noch einmal gegen Morgen.
Quartiere vernichtet
„Leider hat der Tornado vor fünf Jahren einen Großteil der bekannten Fledermausquartiere im Stadtpark vernichtet“, erklärt Steffen Pocha. Abendsegler brauchen alte Bäume mit geeigneten Aushöhlungen, und gerade unter von den Baum-Veteranen hat der Sturm besonders viele entwurzelt. Umso mehr freut sich Pocha, dass aus dem einzigen übrig gebliebenen Abendsegler-Quartier an die 15 Tiere ausfliegen.
Mehr als 30 Besucher sind zur 19. Europäischen Fledermausnacht in den Großenhainer Stadtpark gekommen. Die Veranstaltung wird in Deutschland einmal jährlich vom Naturschutzbund organisiert und findet bundesweit an 185 verschiedenen Orten statt. Der Nabu-Regionalverband „Großenhainer Pflege“ hat die Fledermausnacht, die ursprünglich für das letzte Augustwochenende vorgesehen war, eine Woche vorverlegt. „In den vergangenen Jahren hatten wir am Monatsende immer schlechtes Wetter“, erklärt Regionalchef Lutz Runge.
Trotz des Schulanfangs in Sachsen ist die Veranstaltung gut besucht. Das liegt vor allem daran, dass Fledermausexperte Steffen Pocha nicht nur theoretisches Wissen präsentiert, sondern auch Netze aufspannt, einige Tiere einfängt und sie bestimmt, wiegt und vermisst. Dadurch kommen die Gäste hautnah in Kontakt mit den Fledermäusen – die Kinder dürfen sie sogar einmal vorsichtig streicheln. Es geht vor allem darum, den Ruf der Gattung – über die die seltsamsten Legenden kursieren – ein wenig aufzupolieren. „Dass die Tiere nachts Menschen anfliegen und sich besonders in langen Haaren verfangen, ist Quatsch“, erklärt Steffen Pocha. „Das haben die Eltern ihren Töchtern nur erzählt, damit sie abends früher nach Hause kommen.“
Dem Artenschützer geht es vor allem darum, den Besuchern die Gefahren nahezubringen, die den Fledermäusen durch die Menschen drohen. Zum Beispiel von großen Windkraftanlagen. Und zwar nicht dadurch, dass sie durch die riesigen Rotorblätter getroffen würden. „Aber sie erzeugen Druckunterschiede, von denen die Tiere ein Trauma davontragen“, erklärt Steffen Pocha. Erst letzte Woche habe er im Streumener Windpark wieder zwei tote Fledermäuse gefunden – eine Rauhaut und einen Abendsegler.
Leidensgeschichte mit Happy End
Pocha beschäftigt sich seit fast 30 Jahren mit dem Fledermausschutz und weiß eine Menge interessanter Geschichten zu erzählen. Etwa die von der Zweifarb-Fledermaus, die in Sacka in ein Scheunentor eingeklemmt worden war. Zusammen mit dem Kreistierarzt pflegte der Görziger das Tier gesund und konnte es nach neun Wochen tatsächlich wieder in die Natur entlassen. Insgesamt 17 verschiedene Fledermausarten sind im Landkreis Meißen nachgewiesen worden. In der Röderaue kommen am häufigsten die winzigen, nur sechs Gramm schweren Mückenfledermäuse vor. Am seltensten die Bechsteinfledermaus, die nur ein einziges Mal gesichtet wurde. „Ich war schon fast 24 Jahre als Fledermausschützer tätig, als ich die erste und bisher einzige am Floßkanal bestimmen konnte“, erzählt Steffen Pocha. Das sei eins seiner schönsten Erlebnisse gewesen.
Inzwischen ist den Naturschützern eine Mückenfledermaus ins Netz gegangen – die kleinste der heimischen Arten. Gebannt verfolgt der vierjährige Jacob, wie Steffen Pocha vorsichtig die kleinen Flügel streckt und den Messschieber ansetzt. Dann wird sie in eine Plastikdose gesetzt und gewogen – alles im grünen Bereich. Als Lohn für sein Interesse darf Jacob das Tierchen dann auf die Hand setzen und wieder in den Abendhimmel starten lassen.