Von Ines Eifler
Eigentlich gibt es die Fleischerei am Obermarkt 10 schon seit über 100 Jahren. Die Familie Gruske aber betreibt das Geschäft seit 1974. Und feiert deshalb heute Mittag den runden Jahrestag mit einem kleinen Grillfest vor dem Laden. Es war der Vater des heutigen Inhabers Bert Gruske, der das Unternehmen genau heute, am 1. April vor 40 Jahren, von seinem verstorbenen Chef übernahm und so die alte Fleischertradition am Obermarkt fortsetzte.
1986 ergriff sein Sohn Bert denselben Beruf und stieg mit in den Familienbetrieb ein. „Ich konnte mir gar nichts anderes vorstellen“, sagt der heute 44-Jährige. „Meine Eltern waren ja von früh bis abends hier.“ Der Weg, dass der Sohn einmal Nachfolger werden würde, war vorgezeichnet und Bert Gruske wollte ihn gehen. Die Selbstständigkeit, in der ein Fleischerbetrieb auch in der DDR arbeiten konnte, war das, was ihn anzog. „Bäcker und Fleischer gehörten ja zu den wenigen, die vom Staat in Ruhe gelassen wurden“, sagt Gruske. Und auch heute noch ist es die Eigenständigkeit, die ihm gefällt: Sein eigener Herr zu sein, das Ausprobieren neuer Wurstsorten, das Verkaufen von dem, was er mit seinen eigenen Händen geschaffen hat.
Im Vergleich zu Gruskes Lehrzeit hat sich manches verändert. Supermärkte und in Plastik eingeschweißte Wurst gab es damals noch nicht. Die Fleischer produzierten wenige Wurstsorten, dafür aber in großen Mengen. Heute ist es umgekehrt. Knapp Hundert verschiedene Wurstsorten stellt die Fleischerei Gruske her, und jede Saison hat ihre eigenen Spezialitäten. Um diesem Wandel gerecht zu werden, begann die Familie schon bald nach der Wende einiges zu verändern. Obwohl die Supermärkte zu einer harten Konkurrenz wurden und die Umsätze einbrachen.
1992 wurde Bert Gruske Meister, sein Vater starb und seine Mutter führte das Geschäft bis 2000. Sie kaufte das Haus Obermarkt 10, das bis auf die Fleischerei im Erdgeschoss schon fast eine Ruine war. Die Familie sanierte es nach und nach, vergrößerte den Laden und modernisierte die Produktionsabläufe. „Die Maschinen arbeiten heute effizienter“, sagt Gruske, „aber sonst hat sich wenig verändert.“ Genau wie früher lässt er sich nur komplette, frische Schweinehälften anliefern, die er vollständig verarbeitet. Dazu kauft er Teile vom Rind und vor Ostern Lamm, nur einzelne Aspik- und Geflügelwurstsorten sind Waren, die er ein- und weiterverkauft. Geschmacksverstärker und künstliche Konservierungsstoffe sind für Gruske tabu.
Weil die Kunden genau auf diese unverfälschte Qualität Wert legen und zu abgepackten Produkten offensichtlich immer mehr auf Distanz gehen, hat sich Gruskes Geschäft seit den schwachen Nachwendezeiten erholt und läuft seit einigen Jahren immer besser. „Wir freuen uns vor allem, dass sich zunehmend junge Menschen entscheiden, beim Fleischer zu kaufen.“
Junge Menschen sind auch im Unternehmen wichtig. An Auszubildenden mangele es zwar wie in allen Handwerksbetrieben, sagt Gruske. Doch er ist glücklich, dass seine 23-jährige Tochter Linda zu seinen sieben Mitarbeitern zählt. „Sie ist meine rechte Hand“, sagt er, „und hat vor, bald ihren Meister zu machen.“ Gruske hat auch noch zwei Söhne. Der ältere davon geht einen anderen Weg, aber der kleine, Dreijährige, könnte irgendwann mithelfen, die Tradition fortzuführen. Aber daran denkt Bert Gruske jetzt noch nicht.
Grillen bei Gruske, Obermarkt 10, heute 11 bis 14 Uhr