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Flimmernde Geschichte

Historisches. Ernst Hirschs Filmarchiv verdanken die Dresdner bewegte Bilder der vergangenen 100 Jahre.

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Von Siiri Klose

Als das Fernsehen noch sehr jung war, hatte auch Ernst Hirsch gerade seine Lehre zum Feinoptiker und Feinmechaniker bei Zeiss Ikon in Dresden beendet. So fügte sich die berühmte Mischung vom richtigen Zeitpunkt, dem passenden Interesse und dem Quentchen Glück zu einer Lebensaufgabe für den heutigen Regisseur und Kameramann – und Dresden hat durch ihn Einblick in einige Dokumente, die lebendiger als alles andere aus der Geschichte der Stadt erzählen.

„Dass ich 1953 als erster Filmreporter überhaupt in Dresden und Sachsen fürs Fernsehen arbeiten konnte, verdanke ich dem Umstand, dass es schlicht an geeigneten Mitarbeitern fehlte“, erinnert sich der heute 70-Jährige. Zum Fernsehen gingen damals die Leute vom Hörfunk, die allerdings keine Ahnung von der Filmtechnik hatten – und die Leute vom Film nahmen das Fernsehen noch nicht ernst. „Man muss ja bedenken, wie winzig die Bildschirme damals waren. Mit der Leinwand im Kino konnte die noch lange nicht konkurrieren“, sagt Hirsch. Er hatte keine Berührungsängste, dafür Sachverstand, und ein Fernstudium der Journalistik holte er später nach. Schon vorher produzierte er Beiträge für die Aktuelle Kamera.

Drehen und sammeln

Sein Interesse an Dresden, an der Geschichte und Kultur in dieser Stadt, konnte er mit dem beginnenden Farbfernsehen 1968 zum Beruf machen: „Ab da arbeitete ich als Freiberufler, und meine Filme hatten fast immer einen kulturellen Hintergrund“, sagt er. Die Rückgabe der Gemälde an die Galerie Alte Meister, der Wiederaufbau des Zwingers, die erste Restaurierung der Oper und Silbermannorgeln in der Umgebung hatte er zu diesem Zeitpunkt schon dokumentiert, es folgten Landschaftsfilme, Künstler- und Städteporträts. Peu á peu entstand ein Materialfundus, der – mittlerweile über 50 Berufsjahre gefüttert – wohl die größte private Filmsammlung in und über Dresden ist. Denn Ernst Hirsch filmte nicht nur selbst, er sammelte auch alle historischen Streifen zu Dresden, derer er habhaft werden konnte. „Von den vergangenen 100 Jahren habe ich aus allen Jahrzehnten Material“, sagt er. Es bildet die Grundlage für seinen Dokumentarfilm „800 Jahre Dresden – 100 Jahre Stadtgeschichte im Film“, der rund 100 Minuten Länge hat.

Darin ist auch ein geborgener Schatz enthalten, der auf einen filmkundigen Dresden-Experten gewartet zu haben schien: Filmstreifen der Firma Ernemann, an denen die Perforation für den Filmtransport noch in der Mitte zwischen den einzelnen Bildern angebracht war, tauchten auf einem Bauernhof in Südtirol auf. Ein Bekannter informierte Ernst Hirsch – und damit genau den Richtigen. Denn Hirsch besitzt zum einen die antike, spezielle Ernemann-Kamera, mit der sich die Filme überhaupt erst abspielen ließen. Und er erkannte sofort, dass es sich wohl um die frühesten Aufnahmen von Dresden handeln dürfte: 1903 wurden sie gemacht. Normalerweise füllte sich Hirschs Filmarchiv weniger durch Zufälle. „Eher durch Flüsterpropaganda“, sagt er und erzählt: Von Amateuraufnahmen, die sonst weggeschmissen worden wären, von Nachlässen, die er ankaufte, von Bekanntschaften mit den Dresden-Fotografen Richard Peter, Bernhard Braun oder Walter Hahn, die auch mit dem Medium Film experimentierten und denen er unter anderem gefilmte Luftaufnahmen der Stadt vor ihrer Zerstörung verdankt.

Rückkehr nach Dresden

Der Wiederaufbau der Frauenkirche war es dann auch, der Ernst Hirsch 1990 zurück nach Dresden holte: In den letzten Vorwende-Tagen hatte er mit Frau und Sohn die Stadt verlassen, war nach München übergesiedelt und drehte an der Seite des Regisseurs Peter Schamoni Dokumentarfilme über Max Ernst und Niki de Saint Phalle. „Bei der Frauenkirche habe ich gedacht: Das ist das Thema für mich“, sagt er. Sieben Filme unter dem Titel „Die steinerne Glocke“ sind entstanden. So recht lässt auch das Thema Dresden den Kameramann und Regisseur nicht los.