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Flugzeugabsturz am Görlitzer Stadtrand

Ein beherzter Offiziersschüler verhinderte vor 50 Jahren ein Inferno für die Bevölkerung und fand dabei selber den Tod.

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Von Ralph Schermann

Der 27. April des Jahres 1963 war ein schöner, warmer Tag. Viele Görlitzer zogen an diesem Sonnabendnachmittag in die Gärten oder machten Ausflüge in den Parks und am Stadtrand. Gegen 17 Uhr allerdings schauten viele nach oben. Ein donnerndes Getöse erfüllte die Luft, und so mancher Beobachter blieb starr vor Schreck stehen: Ein Düsenjäger, aus dem Rauchfahnen aufstiegen, überquerte im Tiefflug die Stadt. Immer wieder sackte das silberfarbene Geschoss durch, begleitet vom Aufschrei vieler Bürger, die mehrmals dachten, gleich würde der Flieger in ein Gebäude stürzen. Viele verfolgten den Flug, und es wurde manchem klar, dass hier ein Pilot mit gefährlichen Manövern versucht, das Flugzeug halbwegs auf Höhe zu halten und aus der Stadt zu bringen.

Jener Pilot, der sich nicht gleich katapultierte, sondern ein Inferno von der Stadt Görlitz abwenden wollte, hieß Hans-Jürgen Pohlers. Der Offizierschüler war mit seiner MiG-15, im Dienst seit 1956, bei einem Kunstflug in ein nicht mehr zu kontrollierendes Trudeln geraten. Äußerst knapp schaffte er es, den Flieger noch am Krankenhaus-Komplex vorbeizubekommen und dann den Görlitzer Flugplatz anzusteuern. Erst dann löste er gegen 17.20 Uhr den Schleudersitz aus, doch die Katapulthöhe von 200 Metern reichte nicht mehr aus, den Fallschirm zu öffnen. Vielleicht sah er es sogar noch, wie sich seine Maschine in das Erdreich bohrte.

Wenige Minuten später war die Görlitzer Berufsfeuerwehr an jenem Rapsfeld neben dem Flugplatz, wo die Trümmer der Maschine rauchten. Die Wehrleute durchsuchten das Wrack nach möglichen Personen und schäumten erst dann die MiG-15 komplett ein. Solche Arbeiten waren mutig, musste doch jederzeit mit einer Explosion des Flugzeugbenzins oder sogar der mitgeführten Bewaffnung gerechnet werden. Unterstützung erhielt die Feuerwehr von einer Einheit der Kampfgruppen, die zufällig am Rand des Flugplatzes eine Übung absolvierte. Der Unglücksort war deshalb schon gut abgesperrt, als Volkspolizei und Staatssicherheit eintrafen. Auch diese warteten mit dem Beginn ihrer Untersuchung aber, bis die Fliegerspezialisten aus Rothenburg die Bewaffnung des Jagdflugzeuges entschärft hatten.

Die Maschine gehörte zum Fliegerausbildungsgeschwader 15 der Nationalen Volksarmee, gegründet 1959 in Brandenburg, 1960 verlegt nach Rothenburg/Oberlausitz. Die Einheit hieß ab 1970 und bis zur Auflösung 1990 „Geschwader Heinz Kapelle“. Aufgabe war die Ausbildung von Jagd- und Jagdbombenfliegern. Zwischen 1960 und 1990 absolvierten rund 900 Flugschüler in 38 Kursen eine Grundflugleistung von 120 000 Stunden. Doch der Absturz bei Görlitz war nicht der einzige Verlust, den das Geschwader zu beklagen hatte. Belegt sind von den unzähligen Pannen und Abstürzen insgesamt zehn Vorkommnisse, bei denen sechs Offiziere und fünf Offiziersschüler starben. Absturzorte waren vor allem bei Kaltwasser, Nochten, Rothenburg, Steinbach, Drehsa und Zittau. Der am 30. Mai 1962 auf polnischem Gebiet tödlich verunglückte Oberst Leander Ratz war sogar als Chef der Fliegerschule der ranghöchste DDR-Militär, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Und hätte Hans-Jürgen Pohlers nicht so lange die Nerven behalten oder allein an sein Leben gedacht, wäre eine Katastrophe innerhalb von Görlitz die Folge gewesen. Das alles wurde damals freilich nicht groß publiziert, der Offiziersschüler fand in aller Stille seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof seines Heimatortes Rochlitz.