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Frauenpower Ost

Beim Volleyball dominieren Dresden und Schwerin, im Handball Leipzig und Erfurt. Warum ist das so?

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Von Tino Meyer und Maik Schwert

Wenn es in den wichtigen deutschen Ballsport-Ligen um Titel geht, dann stehen Ostduelle auf dem Spielplan – zumindest bei den Frauen. Dresdner und Schweriner SC bestreiten heute die vierte und eventuell letzte Partie um die Meisterschaft. Im Handball-Endspiel stehen sich derzeit der HC Leipzig und der Thüringer HC gegenüber. Das ist kein Zufall. Seit Jahren schon sind gerade diese vier Klubs in ihren Sportarten das Maß der Dinge.

„Der Frauensport hat im Osten einen höheren Stellenwert. Das ist ein Überbleibsel aus DDR-Zeiten, von dem wir bis heute profitieren“, sagt Johannes-Meinhart Wienecke. Der Anwalt steht als Präsident dem neunfachen Volleyball-Meister Schwerin vor, der mit dem dritten Erfolg beim DSC den Titel-Hattrick perfekt machen kann.

„Was unsere beiden Vereine aber vor allem seit Jahren an der deutschen Spitze hält, ist die konstant gute Nachwuchsarbeit“, sagt Wienecke. Er verweist auf die Eliteschule des Sports und den Schweriner Olympiastützpunkt, die sich nahe der Arena in Mecklenburg-Vorpommerns Hauptstadt befinden – für die künftigen Spitzenspielerinnen eine ideale Symbiose aus schulischer und sportlicher Ausbildung.

Auch Dresden bietet seinem Nachwuchs mit Bundesstützpunkt sowie Sportgymnasium und -mittelschule die besten Bedingungen. Die Talente bedanken sich mit Titeln am laufenden Band. Die U 16 gewann vier deutsche Meisterschaften, die U 18 sieben, die U 20 sechs. Der DSC integrierte in dieser Saison vier Eigengewächse, darunter Lisa Izqierdo-Mocasqui. Sie avancierte zur „Aufsteigerin des Jahres“.

Auch der Bundestrainer profitiert

Egal, ob als Außenangreiferin oder Diagonalspielerin: Die 18-Jährige punktet mit beeindruckender Unbekümmertheit. „Sie spielt Volleyball mit unglaublich viel Herz“, sagt Alexander Waibl. Dresdens Trainer kompensiert mit ihr den Ausfall der Niederländerin Judith Pietersen. „Lisa kennt diese Aufgabe aus der Junioren-Nationalmannschaft, in der sie diese Rolle im Sommer spielte. Davon profitiert sie.“

Das fiel Giovanni Guidetti auf. Der Bundestrainer nominierte Izquierdo-Mocasqui erstmals für die deutsche Auswahl. So profitiert auch er von der Arbeit der Spitzenklubs und mahnt andere Vereine: „Ich würde mir wünschen, dass die Bundesligisten noch ein wenig mehr Mut hätten, junge deutsche Spielerinnen einzusetzen. Ich spreche nicht über die ersten drei, vier Mannschaften, aber die Teams auf den Rängen fünf bis zehn müssen mehr Volleyballerinnen entwickeln. Es gibt sie. Aber wir müssen sie motivieren. Sie brauchen gutes Training und Einsatzmöglichkeiten.“

Ähnlich exzellente Bedingungen für den Nachwuchs finden sich beim HCL. „Wir bieten professionelle Strukturen, die beim Sportgymnasium beginnen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir in den beiden letzten Jahren deutscher A-Jugendmeister waren“, sagt Leipzigs Manager Kay-Sven Hähner. Dahinter steckt vielmehr gezielte Förderung der Talente, gern auch in Zusammenarbeit mit anderen Klubs. So stattet der HCL die besten Nachwuchshandballerinnen mit einem Zweitspielrecht für seinen Kooperationspartner aus, der schon bald HC Rödertal heißen könnte. Nach SZ-Informationen haben die HCL-Verantwortlichen den Vertrag mit dem bisherigen Partner, dem Zweitligisten Halle-Neustadt, bereits gekündigt und befinden sich auf der Suche. Als sportlich gleichwertiger und zugleich logistisch vertretbarer Ersatz kommen dabei nur Sachsen Zwickau und die Aufsteiger aus dem Rödertal in Frage.

Dass die aufstrebenden Rödertalbienen an mehr als nur einer Zusammenarbeit interessiert sind, liegt nahe. Denn der HCL ist nicht nur Rekordmeister mit 21 ost- und gesamtdeutschen Titeln, sondern vor allem Vorzeigemodell für einen sportlich erfolgreichen, wirtschaftlich gesunden, in der Zuschauergunst überaus populären Klub – auch wenn das erste von zwei Finals am Sonntag gegen den THC mit 21:27 verloren ging. Weshalb die Konstellation nun umso mehr an die veränderten Kräfteverhältnisse in der Fußball-Bundesliga in den vergangenen zwei Jahren erinnert. Mit den Münchner Bayern als strauchelndem Branchenkrösus und Borussia Dortmund in der Rolle als widerborstigem Herausforderer. Wie die Thüringer, die nun im Rückspiel gegen Leipzig am Sonntag ihren Titel-Hattrick perfekt machen können.

Doch noch hat sich Hähner, für den der HCL – vergleichbar mit Uli Hoeneß bei den Bayern – so etwas wie eine Lebensaufgabe geworden ist, damit nicht abgefunden. „Es ist Halbzeit, und wir liegen mit sechs Toren hinten. Das haben wir auch schon innerhalb eines Spieles geschafft“, sagt der Manager, und er ist überzeugt, dass die Aufholjagd auch auswärts gelingen kann. Dass dafür, angesichts der Eindrücke vom Hinspiel, ein kleines Wunder nötig ist, interessiert ihn nicht. Abteilung Attacke eben.

Mehr noch als um den schnellen Erfolg geht es Hähner aber um Nachhaltigkeit. Er betont, dass es gerade in ehemaligen DDR-Hochburgen wie Leipzig mit Handball und Schwerin mit Volleyball gelungen ist, „gewisse Strukturen zu retten und sie den neuen Gegebenheiten anzupassen“. Natürlich sei aber der Erfolg des Frauensports auch ein Ergebnis regionaler Akzeptanz. „Wir hatten zum Meisterschafts-Halbfinale gegen Buxtehude fast 4000 Zuschauer in der Halle, beim Finale fast 5000. Das sind Zahlen, die im Frauensport in Deutschland herausragen“, erklärt Hähner und glaubt auch, den Grund dafür zu kennen: „Der Osten ist offener gegenüber Leistungssportlerinnen.“

Eine weitere vermeintliche Ursache nennt Karsten Günther. Der Geschäftsführer des Männer-Zweitligisten SC DHfK, der neben dem etablierten HCL um die Zuschauergunst in der Handball-Hochburg Leipzig wirbt, verweist auf die finanziellen Dimensionen: „Bei den Frauen kannst du mit unserem Etat von 1,3 Millionen Euro um die Meisterschaft spielen, bei den Männern braucht es etwa das Zehnfache.“ Wobei das im Handball nicht ganz stimmt – Männer-Krösus THW Kiel plant zurzeit mit 9,5 Millionen Euro, die Verfolger Berlin und Flensburg mit gut fünf Millionen – und im Volleyball erst recht nicht.

Das DSC-Budget beträgt 1,25 Millionen Euro. Der Haushalt vom alten und neuen Männer-Meister aus Berlin liegt bei etwa 1,4 Millionen Euro. Und doch gibt es einen gemeinsamen Punkt, der die starken Ostteams verbindet. Hähner und Wienecke verweisen darauf, dass es an den jeweiligen Standorten gelang, trotz der deutschlandweiten Dominanz der männlichen Ballspieler das Interesse am Leben zu halten.

Champions League bringt weiter

Dresden erlebt sogar einen echten Volleyball-Aufschwung. Bei Heimspielen in der Margon-Arena waren alle 3 000 Plätze ausverkauft und Eintrittskarten schon lange vor dem Anpfiff vergriffen. „Das hängt mit dem sportlich konstant hohen Level über Jahre zusammen“ sagt DSC-Abteilungsleiter Jörg Dittrich. „Die Zuschauer erleben regelmäßig Volleyball auf Spitzenniveau. Außer dieser sportlichen Qualität identifizieren sie sich mit dem Nachwuchs und den etablierten Spielerinnen aus der Region von Mareen Apitz bis Kerstin Tzscherlich.“

Wie HCL und THC beim Handball, so spielen auch Dresden und Schwerin im Volleyball in der Champions League. Seit 2011 machten sie in den Duellen gegen Europas Topteams einen Leistungssprung. „Jetzt stehen wir zum dritten Mal hintereinander im Finale um die deutsche Meisterschaft“, sagt Dittrich. „Das beweist doch, dass wir uns durch diesen Wettbewerb weiterentwickeln.“ Er meint das nicht nur sportlich. Der Klub profitiert auch ansonsten von diesem weiteren, etablierten Produkt: „Die Zuschauer nehmen es an.“

Für den mit einem Etat von einer Million Euro brutto regelmäßig um den Titel spielenden SSC bemängelt Wienecke quasi stellvertretend für alle Frauen-Topvereine die fehlende Akzeptanz im Fernsehen: „Frauenhand- und -volleyball spielen leider nur eine sehr untergeordnete Rolle. Aber gerade Sponsoren wie große Biermarken pochen auf den Wiedererkennungswert via TV.“ Allerdings zeigte nicht einmal der MDR Live-Bilder vom ersten Handball-Endspiel zwischen Leipzig und Erfurt. (mit sid)

Livestream vom Topspiel am Mittwoch, 19.20 Uhr: www.sz-link.de/dsc