Von Peggy Zill
Jede Woche nimmt sich mindestens ein Mittelsachse das Leben. Nur selten wird darüber gesprochen. Der jüngste Fall, der für Aufsehen sorgte, war die Selbsttötung eines Hainichener Stadtrates Ende Januar. Polizei und Familie hatten tagelang nach dem 41-jährigen Geschäftsmann gesucht. Ein Motiv für sein Verschwinden sei nicht zu erkennen, erklärte die Polizei damals. Spaziergänger fanden später seine Leiche.
Viele Angehörige und Freunde sind entsetzt und überrascht, wenn sie vom Selbstmord eines nahestehenden Menschen erfahren. Die Frage nach dem Warum lässt sich nur schwer beantworten. „Suizid wird meist plötzlich und unerwartet vollzogen und nur jeder Zehnte hinterlässt einen Abschiedsbrief“, erklärt der Psychiatriekoordinator des Landkreises Matthias Gröll. Mögliche Ursachen sind Arbeitslosigkeit, Konflikte in der Partnerschaft oder auch schwere Erkrankungen. Insgesamt erscheine den Betroffenen das Leben perspektivlos.
Dr. Rudolf Lehle, Chefarzt im Fachkrankenhaus Bethanien, hat mit zahlreichen Patienten gesprochen, die versucht haben, sich das Leben zu nehmen. „Wir kennen viele Motive. Und in 30 Jahren ist mir nur ein Patient untergekommen, der nicht depressiv erschien.“ Denn Probleme hätten viele Menschen. „Aber ein Nicht-Depressiver hat Angst vorm Tod. Da gilt der Spruch ‚Die Hoffnung stirbt zuletzt ‘“, so der Nervenarzt. Suizid könne verhindert werden. Weil die Menschen krank sind, kann ihnen mit Medikamenten und Therapien geholfen werden. „Wir können niemanden Arbeit oder Frau zurückbringen. Aber am Ende sind die Patienten besser drauf und dankbar für die Hilfe“, erklärt Lehle.
Psychiatriekoordinator Matthias Gröll kann von einer Frau berichten, die seit Jahren in Behandlung ist und sich vor Kurzem meldete, weil sie wieder Suizidgedanken hatte. „Sie glaubte, aus finanziellen Schwierigkeiten nicht mehr herauszukommen. Dabei hat sich dann herausgestellt, dass die Schulden gar nicht so hoch sind und der Gläubiger auch eine Ratenzahlung angeboten hat“, schildert Matthias Gröll.
Wo es Hilfe gibt, darauf will das Gesundheitsamt jetzt mit einem neuen Flyer hinweisen. Anlaufstellen gibt es viele, nur sind sie offenbar noch nicht bekannt genug. Dr. Andreas Prokop hat als Amtsarzt festgestellt, dass alle Selbstmörder im Kreis nicht im Hilfesystem angekommen sind. Dabei gibt es ein flächendeckendes Netz an Kontakt- und Beratungsstellen. Angesprochen werden nicht nur die Selbstmordgefährdeten selbst. Die Öffentlichkeit generell müsste sensibilisiert werden. „Meist wird das Thema verdrängt. Für Angehörige ist es auch schwer, einen Selbstmord in der Familie zu verarbeiten“, so Prokop. Genauso schwer ist es, die Selbstmordgefahr rechtszeitig zu erkennen. „Es gibt Angehörige, die sich bei uns melden, wenn sie merken, dass sich jemand immer weiter zurückzieht“, so der Amtsarzt.
Ankündigungen ernstnehmen
Laut Rudolf Lehle kursieren noch zu viele Unwahrheiten, wenn es um Suizid geht. Wer von Suizid spricht, tut es nicht, sei eine. „Mit solchen Ankündigungen müssen wir sehr sensibel umgehen.“ Eine andere ist, dass sich besonders nach der Wende viele das Leben genommen haben. „In Ostdeutschland war die Suizidrate schon immer höher“, so Lehle. Woran das liegt, kann er nichts sagen. Fest stehe, dass die Zahlen rückläufig sind, was bedeute, dass das Hilfesystem, in dem viel Geld und Personal stecken, auch wirke. Weshalb der Landkreis Mittelsachsen häufig die Selbstmordstatistik im Freistaat anführt, können die Experten nicht beantworten. 55 Männer und 11 Frauen haben 2012 im Landkreis Suizid begangen. Die Selbstmordrate lag bei 20,4 und war die mit Abstand höchste in Sachsen. In Leipzig und im Erzgebirgskreis war sie mit 13,8 am niedrigsten. Dass das Fachkrankenhaus Bethanien diese Statistik beeinflusst, glaubt Chefarzt Rudolf Lehle nicht. „Jeder Landkreis hat eine psychiatrische Klinik.“ Ein Ranking nach Landkreisen ist seiner Meinung nach auch nicht besonders hilfreich.
Hier gibt es Hilfe: Fachkrankenhaus Hochweitzschen Tel. 03431 6560 (rund um die Uhr), Telefonseelsorge 0800 1110111