Von Steffen Neumann
Eibau. Heute vertritt Anna Käsche sogar die Projektleiterin. „Wenn ihr Diensthandy klingelt, muss ich ran“, verrät die 19-Jährige. Im Moment schweigt es. Es folgt eine kurze Besprechung mit ihrer Kollegin, dann hat sie etwas Zeit, aus ihrem aufregenden Leben zu erzählen. Dass Anna Käsche ganz entspannt in ihrem Büro sitzt und über ihren ersten festen Job erzählt, ist so normal nicht. Denn ihr Arbeitgeber heißt Dobrovolnicke centrum (Freiwilligenzentrum) und befindet sich in Usti nad Labem (Aussig). Arbeitssprache: Tschechisch, natürlich.
„Dass ich nach dem Abi ein Freiwilligenjahr mache, war mir schnell klar, und auch, dass ich nach Tschechien will“, erzählt die Eibauerin. Bei ihren Freunden erntete sie nur Unverständnis. Das Land sei nicht attraktiv und sie werde da nicht glücklich, prophezeiten sie ihr. Inzwischen ist sie schon das zweite Jahr in Usti und kann rückblickend nur darüber schmunzeln. Auch ihre Freunde haben längst eingesehen, dass sie hier glücklich ist, und besuchen sie.
Dabei brachte sie gute Voraussetzungen mit. Sie kommt aus Eibau und besuchte das Gymnasium in Herrnhut. „Dort ist Tschechisch zweite Fremdsprache. Unsere Lehrerin war Tschechin und zugleich Klassenlehrerin, sodass wir auch viele Ausflüge und Klassenfahrten ins Nachbarland unternahmen. Für manche war das schon zu viel, ich konnte nicht oft genug dahin fahren“, sagt sie und macht deutlich, dass sie schon früh von Tschechien fasziniert war.
Einen Platz in dem Land zu finden, war nicht schwer. „Es gibt mehrere Organisationen, die das vermitteln, aber für mich passte der Paritätische am besten.“ Der Paritätische Wohlfahrtsverband Sachsen vermittelt Freiwillige bewusst nur nach Polen und Tschechien. „Jedes Jahr kommen zehn Jugendliche aus den Ländern zu uns und zehn gehen von uns nach Polen und Tschechien, ausschließlich in die jeweilige Grenzregion“, sagt Referent Gernot Mosig. Gerade das gefiel auch Käsche. „Ich wollte auch nicht zu weit weg von zu Hause.“ Andererseits sollte es schon ein anderer Ort sein als Rumburk oder Liberec, dort kannte sie sich schon aus. Deshalb fiel die Wahl auf Usti. „Und im Freiwilligenzentrum konnte ich jeden Tag etwas anderes machen, das sagte mir zu.“ Und passt zu ihrer Vielseitigkeit.
Montags unterrichtete sie Deutsch, Donnerstag und Freitag ging sie ins Seniorenheim, um mit den Bewohnern Deutsch zu sprechen, außerdem betreute sie jede Woche eine Kindergruppe aus sozial schwachen Familien. Und wenn wieder eine Dolmetscherin fürs Deutsche gebraucht wurde, war sie dabei. „Manches Projekt habe ich dadurch von der Beantragung bis zur Umsetzung begleitet, das war eine wertvolle Erfahrung für mich“, resümiert sie.
Doch nach einem Jahr sollte noch nicht Schluss sein. „Ich hatte auch schon überlegt, wie ich weiter in Tschechien bleiben könnte. Für ein Studium fand ich es aber noch zu früh.“ Insofern kam das Angebot ihrer Leiterin Lenka Cerna, in einem grenzüberschreitenden Projekt mitzuarbeiten, wie gerufen. „Es heißt ‚Fit fürs Leben‘ und ist ein Bildungsprogramm für sozial benachteiligte, jugendliche Tschechen“, sagt sie. Die Jugendlichen machen Bewerbungstraining, lernen Deutsch und können neun Wochen in einem Chemnitzer Bildungszentrum arbeiten.
Für Gernot Mosig ist Anna Käsche ein gelungenes Beispiel. Denn dem Paritätischen geht es nicht nur darum, Freiwilligendienst zu koordinieren. „Wir wollen durch den Einsatz der Freiwilligen gezielt grenzüberschreitende Kontakte der Einsatzstellen fördern bzw. neu entstehen lassen und wir wollen die Grenzregion durch attraktive Angebote für junge Menschen stärken“, beschreibt Mosig die Strategie. Das wird immer besser angenommen. Allerdings kommen die meisten Freiwilligen weiterhin nicht aus Sachsen. „Da sehen wir noch Reserven“, hofft Mosig auf mehr Echo aus der Region.
Anna Käsche indes geht mit ihrem neuen Job den nächsten großen Schritt. „Jetzt habe ich mehr Verantwortung.“ In Usti ist sie inzwischen zu Hause. Sie hat sich in einer Dreier-WG eingemietet und schwärmt von der Umgebung: „Drei Minuten Busfahrt und man ist in der Natur.“ An den Tschechen schätzt sie die Offenheit. „In Eibau habe ich mit den einen Freunden Kultur gemacht und mit wieder anderen bin ich zum Bowling, hier schließt sich das nicht aus.“ Vor allem trifft man sich gern und oft in der Kneipe. „In Deutschland kann man sich das gar nicht leisten“, bedauert sie. Nur die manchmal mangelnde Zuverlässigkeit von den Tschechen habe sie anfangs genervt. „Wenn sie sagten, ich mache mit, hieß das nur: ‚Ich finde gut, was du machst‘, aber gekommen sind sie nicht. Inzwischen weiß ich das“, beschreibt sie ihren interkulturellen Lernprozess.
Ihre Arbeit läuft über zwei Jahre. Spätestens dann will sie studieren. Sie weiß auch schon was: Lehramt Mathe und Physik. Natürlich an der Uni in Usti. „Deutsche mit Tschechisch-Kenntnissen sind in beiden Ländern gefragt“, weiß sie. Tschechien ist eben attraktiv.