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Freunde von Gott

In dem Dorf Krögis bei Meißen haben sich Missionare niedergelassen. Es soll einmal  das Hauptquartier für das weltweite Missionswerk Steiger werden.

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© Ronald Bonß

Von Christina Wittich (Text) und Ronald Bonss (Foto)

David Pierce hat eine Botschaft: „Be cool in the name of Jesus!“ In der Linken die Bibel, in der Rechten ein Mikrofon, Lesebrille auf der Nase, predigt der 60-jährige Amerikaner in kurzen Hosen. Er trägt weiße Socken in Turnschuhen, ein blaues T-Shirt. David Pierce steht vor der Bühne des Kultursaals der ehemaligen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) Krögis und redet von sich und der Liebe Gottes. „Ihr Leute hier seid dazu berufen, den Menschen Gottes Liebe zu bringen“, sagt er, nein, ruft er auf Englisch. Das Haar wie ein drahtiger Busch jahrzehntealter, schwarz gefärbter Rastalocken fällt ihm dabei ins Gesicht und über die Schultern. Ein junger Mann am äußeren Bühnenrand übersetzt ins Russische. In den hinteren Reihen flüstert jemand portugiesisch.

Vielleicht 40 junge Leute hören David Pierce zu. Entspanntes, buntes Volk, Vollbärte, enge Jeans. Hipster, Punks, Indie-Rocker, Blumenmädchen. Sie lachen, wenn er sagt: „Ich bin wie Forrest Gump, ich hatte auch verschiedene Perioden in meinem Leben – Hardcore-Punk, Gothic, als Nächstes dann Country.“ Er redet über seine Mission. Jemand beginnt zu weinen. Zuerst nur ein einzelnes, leises Schluchzen, allmählich wird es vielstimmig. „Gottes Liebe ist so groß wie das Universum“, ruft der Prediger. Es ist eine sehr amerikanische Art zu predigen.

Es ist Steiger Mission School in Krögis, und der Steiger-Gründer David Pierce hält ein Teaching, eine Art Lehrstunde und Predigt. Seit 2010 hat der Verein einen Sitz in Krögis bei Meißen – neben Karlsruhe, Pforzheim und Metzingen. Steiger ist ein christliches Missionswerk, überkonfessionell – nicht evangelisch, nicht katholisch. In der 352-Seelen-Gemeinde, in den ehemaligen LPG-Gebäuden, die trotz aller Bemühungen noch immer den rauen Charme der DDR atmen, soll seine weltweite Mission ihren Ausgang nehmen.

In Krögis sollen, wenn sich der Standort einmal etabliert hat, die organisatorischen Fäden zusammenlaufen zwischen den Missionen im Südwesten Deutschlands, Polen, der Ukraine, Russland, USA, Brasilien. Seit 2010 werden hier jeden Sommer über zehn Wochen zukünftige Missionare geschult in kreativem Predigen. Musik gehört zu ihrem Programm, Schauspiel, missionarisches Feldtraining in der Dresdner Neustadt, Ausflüge zu christlichen Festivals. Kontemplation. Gebete. Teachings.

Einer der Ersten vor Ort war Michael Sengle, der Vorsitzende von Steiger-Deutschland. Vater zweier Kinder ist er, Musiker, Organisator im Hintergrund, Christ und eigentlich ein Stadtmensch. „Ich musste mich umgewöhnen“, sagt er. Dresden wäre ihm lieber gewesen, war für Steiger aber zu teuer. Der Verein finanziert sich durch Spenden. Zwischen 3.000 und 4.000 Menschen zählen zu seinem sogenannten Freundeskreis.

Krögis ist nicht Dresden, aber dicht dran. „Wir können von hier aus schnell nach Polen und Tschechien reisen“, sagt Sengle. Zudem liegt das Dorf in einer Region, in der Glaube und Kirche nicht zum Alltag gehören. „Weil hier so viele nicht an Gott glauben, ist das der perfekte Ort für uns“, sagt Steiger-Gründer David Pierce. 50 Missionare und 100 Freiwillige arbeiten für seine Mission in 38 Niederlassungen verteilt auf neun Länder. Erreichen wollen sie „die verweltlichte Jugend“ mit deren eigenen Mitteln. Ihr missionarischer Ehrgeiz gilt dabei vor allem der Jugend Osteuropas.

Das Objekt, das die Gemeinschaft gekauft hat, gehörte einem Privatmann. Den Komplex aus fünf Wohn- und Wirtschaftshäusern wollte der als Landgasthof etablieren und scheiterte. Davor waren die Gebäude Teil der LPG. Lange standen sie leer. Wie viel der Steiger e. V. dafür bezahlt hat, will Michael Sengle nicht sagen. Zehn Erwachsene und sieben Kinder leben inzwischen auf dem Gelände. Die Kinder besuchen die Kita oder Schule, die Erwachsenen arbeiten für Steiger oder als Lehrer oder Krankenschwestern in Meißen. In ihrer Freizeit renovieren sie viel in Eigenregie oder beauftragen Handwerker aus der Region.

Uwe Klingor öffnete ihnen damals die Türen in den Ort. „Die bringen uns kein Geld, aber Leben in die Bude“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde Käbschütztal, von deren 37 Ortsteilen Krögis einer ist. Klingor, gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt und braun gebrannt, sitzt in seinem Büro im Gemeindehaus Krögis. Vielleicht 200 Meter liegt das entfernt vom kleinen Park und dem Anwesen der Zugezogenen. Der Weg dorthin führt vorbei an Kirche, Friedhof, Ganztagsschule. Die Wege in Krögis sind kurz. „Bevor ich die Steiger eingeladen habe, hab ich mich natürlich auch erst einmal erkundigt, wer die eigentlich sind“, sagt der CDU-Mann.

Dann hatte er eine Begegnung mit David Pierce. „Ein toller Typ, der kam super rüber“, sagt Klingor, auch wenn er nicht alles verstanden habe, was der Amerikaner so erzählte. Für ein Festival durften die Christen den Sportplatz der Ganztagsschule nutzen und die Turnhalle. Als Dankeschön „ist dann eine ukrainische Mädelsband von denen bei unserem ersten Schultag aufgetreten“. Zum ersten Spatenstich für die Umgehungsstraße ließ er christlichen Rock spielen. Mit Steiger kamen Ausländer nach Krögis, höfliche Ausländer, tätowiert zwar und ein bisschen unfrisiert, aber ordentlich und sauber. „Fragen Sie mich nicht, ob ich hier ein Asylantenheim will“, sagt der Bürgermeister. Aber die Zugezogenen aus Amerika, Australien, Brasilien, Polen und Süddeutschland imponieren ihm. „Die ziehen nicht nach Dresden, sondern hierher in die Provinz.“

Vor dem Kauf traf sich auch der damalige evangelische Pfarrer des Ortes mit Michael Sengle. Zwei Stunden saßen Toralf Walz und Sengle beim einzigen Bäcker des Ortes, tranken Kaffee und redeten. „Denen war es wichtig, dass in Krögis niemand gegen sie ist“, sagt Walz. „Vor allem nicht der Pfarrer.“ Seit 2011 ist er Jugendpfarrer in Wehrsdorf bei Bautzen. Erst seit vergangenem Dezember ist seine alte Stelle neu besetzt. „Jugendarbeit auf dem Land zu machen, das ist immer auch eine Herausforderung“, sagt Toralf Walz. Insofern glaube er auch, „dass Gott Steiger nach Krögis geschickt hat“.

Die Gemeinschaft ordnet sich keiner Kirche unter. Sie bezieht sich direkt auf die Bibel, versteht sie als Leitfaden, den es mit der modernen Welt abzugleichen gilt. „Das ist keine Sekte“, sagt Toralf Walz. Und das sagt auch der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche. Der sieht Steiger als „freies Missionswerk“, das bemüht sei, nicht anzuecken bei der Kirche und bei ihren Nachbarn.

„Wenn du aufs Dorf kommst, musst du mit den Menschen leben, sie wertschätzen“, sagt Toralf Walz. Steiger darf die Kirche nutzen für einen Gottesdienst. Sie laden die Nachbarn ein zu Festen, plaudern am Zaun über Gartenbau und Wetter und bekommen Eier und selbstgekochte Marmelade. Sie vermieten den Festsaal an einen Karnevalsverein. „Ich habe den Eindruck, die Leute hier sind einfach auch froh, dass die Gebäude nicht mehr leer stehen“, sagt Michael Sengle.

Die Neu-Krögiser geben sich Mühe. „Die sind zu meinem Geburtstag vorbeigekommen und haben ein Lied in verschiedenen Sprachen gesungen“, sagt eine Nachbarin. Ihr Mann stutzt da gerade eine zwei Meter hohe Hecke zur Straße. Sie sammelt die Äste auf. 71 Jahre ist sie alt. Ihr Mann redet nicht, er nickt nur kurz, wenn sie spricht. „Das sind viele junge Leute dort, die sind nett“, sagt die Frau. „Die grüßen alle.“

So steht es auch auf dem Handzettel für die Teilnehmer der Summer-School. Höflich sein und Müll trennen! Sich der Umgebung anpassen, nicht umgekehrt. David Pierce missioniert schon lange. Der Sohn eines streng gläubigen Vaters kam Anfang der Achtzigerjahre aus Minneapolis im US-Bundestaat Minnesota nach Amsterdam. Er hatte sich dem damals noch jungen Missionswerk „Youth with a Mission“ angeschlossen. In seiner Autobiografie „Rockpriest“ schreibt er, er habe schon früh erkannt, ein guter Anführer zu sein. Als er bei „Youth with a Mission“ nicht weiterkommt, gründete er sein eigenes Missionswerk: Steiger.

Der Name ist das niederländische Wort für Pier. Seine ersten Bibelstunden in Amsterdam gab Pierce für Anarchisten, Punks und Prostituierte auf einem Hausboot, das angelegt hatte unter der Adresse Steiger 14. Er beschreibt Gott als Vater und Jesus wie eine Art großen Bruder. Er missioniert Muslime und Buddhisten. „Wer den Weg der Wahrheit nicht findet, ist verloren“, sagt er. Er gründet die Band „No More Music“ mit ihm als Sänger und ständig wechselnder Besetzung. Bei ihren Bühnenauftritten fließt Kunstblut im Namen Gottes. Der Sänger lässt sich ans Kreuz binden, um von Jesus zu erzählen. Die Botschaft: Glaube, Liebe, Hoffnung und kein Sex vor der Ehe. Auch beim Dresdner Stadtfest spielten „No More Music“ bereits.

Die Zuhörer im Kultursaal von Krögis knien vor ihren Stühlen. Wie in der Kirchenbank, die Arme abgestützt auf der Lehne des vorderen Sitzes. Ihr Blick folgt dem Mann mit den Rastas, geht zur Decke des Raumes. In sich gekehrt. „Amen“, rufen sie, wenn der 60-Jährige von seiner Mission am anderen Ende der heilen Welt berichtet. Pierce erzählt vom Strip-Club, in dem er aufgetreten ist. „Und als wir gespielt haben, ist im Keller-Büro des Betreibers der Spiegel explodiert.“ Ein Zeichen von oben. Ein andermal im Gothic-Club hätten sich Zuhörer gefühlt „wie überspült von einem Wasserfall aus Gottes Tränen“.

Zum Schluss kniet der Prediger selbst. Jemand hat sich ans Klavier gesetzt. Jeder soll jetzt laut beten. „Hilf mir, mit Gott befreundet zu sein“, sagt einer.