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Friedhofsdiebstahl: geraubte Erinnerungen

Vom Grab eines jungen Mannes verschwindet ein Gedenkstein. Gestohlen wird auf Freitals Friedhöfen dennoch eher selten.

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Von Jane Jannke

Es ist vermutlich das Schlimmste, was einem Angehörigen, der ohnehin einen geliebten Menschen verloren hat, passieren kann. Liebevoll hat man das Grab mit Blumen und Erinnerungsstücken geschmückt. Dinge, die eine Verbindung über den Tod hinaus aufrecht, die Erinnerung wach halten sollen. Und dann verschwindet plötzlich etwas. Mal sind es Blumen, mal ein Windlicht, mal ein ganzes Grabmal.

Manchmal fällt es erst beim zweiten Hinsehen auf: Von diesem Grabstein auf dem Döhlener Friedhof haben Unbekannte die Lettern eines Vornamenszuges entwendet. Zwischen Grußwort und Nachname prangt nur noch ein leerer Fleck. Foto: Karl-Ludwig Oberthür
Manchmal fällt es erst beim zweiten Hinsehen auf: Von diesem Grabstein auf dem Döhlener Friedhof haben Unbekannte die Lettern eines Vornamenszuges entwendet. Zwischen Grußwort und Nachname prangt nur noch ein leerer Fleck. Foto: Karl-Ludwig Oberthür

„Es ist ein Unding, sich an den Gräbern Verstorbener zu vergreifen“, empört sich der Freitaler Pfarrer Markus Beulich. Seit Januar steht er der Freitaler Kirchgemeinde vor, die in der Stadt fünf Friedhöfe unterhält. Was vor wenigen Tagen auf dem Gottesacker in Döhlen geschah, hat für Betroffenheit gesorgt. Unbekannte hatten in der Nacht zum 16. Juni einen besonderen Gedenkstein vom Grab eines jungen Mannes gestohlen. Die 18 mal 13 mal drei Zentimeter große Tafel (Bild) aus dunkelgrauem, geschliffenem Naturstein trägt ein auffälliges Merkmal. Ein helles @-Zeichen ist in die Platte eingraviert. Ein Verweis auf das Leben des Verstorbenen, dessen große Leidenschaft die Arbeit mit dem Computer gewesen sein soll.

„Das war meine Verbindung zu ihm“, sagt die verzweifelte Mutter des Toten, die anonym bleiben will. Diese Sache publik zu machen, sei sie ihrem Sohn schuldig. Dass die Tafel außer dem Symbol keinerlei Namensbezüge oder Lebensdaten aufwies, machte sie vermutlich zum begehrten Raubobjekt. Denn so lässt sich solch ein Stein leichter verkaufen – etwa in den anonymen Weiten des Internets. Als während der Sanierung des Döhlener Rathauses vor vier Jahren ein wertvolles Bleiglasfenster gestohlen worden war, tauchte es kurz darauf im Internet-Auktionshaus eBay auf. Im Falle des gestohlenen Steins sollten regelmäßige Internetkunden daher die Augen offenhalten, die Polizei sucht derzeit mit einem Zeugenaufruf nach dem oder den Tätern.

Pfarrer Markus Beulich und auch die Angehörigen appellieren derweil an deren Gewissen. „Sie können den Stein jederzeit, auch nachts, wieder zurückbringen und vor der Feierhalle abstellen“, so der Pfarrer, der in zehn Jahren beim Freitaler Kirchspiel Derartiges nicht erlebt hat. „Es kommen auf den Friedhöfen immer mal wieder Blumen oder auch mal kleinere Gegenstände weg. Dennoch ist das eher die Ausnahme.“ Eine Nachfrage beim zuständigen Polizeirevier in Dippoldiswalde bestätigt diesen Eindruck. „Fälle von Grabräuberei sind hier eher eine Randerscheinung“, sagte Polizeisprecher Thomas Geithner. Ganze sechs Fälle von Friedhofsdiebstahl seien den Beamten im vergangenen Jahr in Freital angezeigt worden. Mehr als zehn oder elf seien es nie.

Und doch passiert es. Auf dem Döhlener Friedhof stehen die Pforten für Diebe quasi offen, ein verschließbares Tor gibt es nicht. Da helfen auch Öffnungszeiten am Eingang nichts. Im Geräteschuppen sei bereits eingebrochen worden, berichtet Friedhofsverwalter Siegmar Schönert. Manchmal kletterten Schüler über die niedrigen Mauern. An einem Grabmal wurde gleich ein ganzer Namensschriftzug aus Metall abmontiert. Über mehr Sicherungsmaßnahmen will Pfarrer Markus Beulich dennoch nicht grübeln. „Zum einen fehlt dafür das Geld, und zum anderen finde ich es schlimm, dass man überhaupt darüber nachdenken muss.“

Die finanziellen Mittel der Kirchgemeinde für die Friedhöfe sind bescheiden. Diese müssen sich hauptsächlich selbst tragen. Rund 23 000 Euro schieße die Stadt pro Jahr für alle fünf Friedhöfe dazu – ein Tropfen auf dem heißen Stein, wie Beulich sagt. Nur das Nötigste sei damit machbar. Dabei seien an vielen Stellen Mauern zu reparieren oder andere Baustellen offen.