Warum Geisterspiele für alle eine Strafe sind

Was jetzt als die einzige Lösung gilt, um überhaupt weiterspielen zu können, ist ursprünglich als Strafe gedacht gewesen. Genauso empfinden es viele Fans und sind deshalb strikt dagegen, die Saison mit Geisterspielen zu Ende zu bringen. Der vom Sportgericht verhängte kollektive Ausschluss von Zuschauern ist einer der Streitpunkte, vielleicht sogar der grundsätzliche, zwischen dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der aktiven Fanszene.
Als Ergebnis eines Dialoges, der auch durch einen martialischen Auftritt von Dynamo-Anhängern in Karlsruhe wieder aufgenommen worden war, hatte der DFB die Kollektivstrafen im August 2017 ausgesetzt. Als „Football-Army“ waren etwa 2.300 Dynamo-Fans im Mai zuvor zum Stadion marschiert und hatten dem Verband den Krieg erklärt. Am Rande dieser Machtdemonstration kam es zu Straftaten, ausfindig gemacht wurden jedoch nicht die Täter, stattdessen Strafbefehle gegen die Organisatoren des Auftritts erlassen.
Situation um Dietmar Hopp droht zu eskalieren
Der brüchige „Waffenstillstand“ zwischen DFB und Ultras hielt bis Februar dieses Jahres, bis das Sportgericht die Fans von Borussia Dortmund für zwei Jahre von Auswärtsspielen bei der TSG Hoffenheim ausschloss. Mit dem Urteil wurden permanente Schmähungen der Anhänger des BVB gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp geahndet, die den Unternehmer auf Plakaten ins Fadenkreuz nahmen. Was dann passierte, ist durch die Corona-Pause beinahe in Vergessenheit geraten: Die Fanszene solidarisierte sich. Wegen beleidigender Spruchbänder wurden Spiele unterbrochen wie das des FC Bayern in Hoffenheim, die Mannschaften schoben sich danach 13 Minuten lang den Ball hin und her.
Der DFB drohte bei weiteren Hass-Tiraden gegen Hopp mit Spielabbruch und Punktabzug. So skurril es klingen mag: Ohne die Pandemie wäre die Situation vermutlich eskaliert. Eine Chance für alle Seiten. Hopp ist nur eine Symbolfigur für die Kommerzialisierung, durch die viele Fans den Fußball in seiner traditionellen Art bedroht sehen. Wenn Geisterspiele jetzt also ernsthaft eine Option sein sollen, zeigt das auch, wie weit diese Entwicklung bereits fortgeschritten ist: Ohne Zuschauer können die 36 Erst- und Zweitligisten finanziell überleben, ohne die Millionen aus dem Fernsehvertrag nicht.
Die Geschichte der Geisterspiele in Bildern
Für die Fans in den Kurven, die für die Stimmung sorgen, ist das absolut inakzeptabel. Für sie geht es nicht nur um das Spiel an sich, sondern um die Fankultur. Das Ergebnis ist ihnen nicht egal, aber das Erlebnis, die Identifikation mit dem Verein sind wichtiger. Das Gemeinschaftsgefühl eben, das in diesen Tagen verloren zu gehen scheint, wobei sich die Frage stellen müsste, wie es vorher wirklich darum stand.
Geisterspiele, für die sich auch Experten wie Eduard Geyer nicht begeistern können, würden plötzlich anders bewertet: Als lebensrettende Maßnahme – und das ist keinesfalls gesundheitspolitisch gemeint, sondern rein wirtschaftlich. Mit dem ursprünglichen Sinn hätte das nichts zu tun. Der lag darin, eine Form zu finden, Fehlverhalten von Fans so drastisch zu bestrafen, die abschreckende Wirkung sollte im Idealfall einen Selbstreinigungsprozess auf den Tribünen in Gang setzen. Nachdem beim Zweitliga-Spiel zwischen Aachen und Nürnberg im November 2003 Gäste-Trainer Wolfgang Wolf von einem Wurfgeschoss am Kopf getroffen und verletzt worden war, entschied das Sportgericht auf ein Wiederholungsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Bei dieser Premiere gewann Aachen am 26. April 2004 mit 3:2.
Zwei Würstchenverkäufer auf der Gästeliste
Die Gästeliste damals: 40 Personen pro Verein, inklusive Spieler, 50 Reporter, 16 Fotografen plus TV-Kommentatoren und Kameraleute, Sicherheits- und Sanitätsdienst, Techniker und – für wen auch immer – zwei Würstchenverkäufer. Jetzt sollen maximal etwa 300 Personen zeitgleich im Stadion sein und möglichst Abstand halten außer auf dem Platz, weshalb manche Vorsichtsmaßnahme drumherum, etwa, dass mindestens ein Platz zwischen den Spielern auf der Ersatzbank frei bleiben soll, alibimäßig wirkt.
Die meisten Erfahrungen mit Geisterspielen im deutschen Profi-Fußball hat Dynamo, unabhängig von den zuletzt „aus organisatorischen Gründen“, wie es heißt, in Mode gekommenen Tests ohne Zuschauer. Bereits dreimal mussten die Dresdner vor leeren Rängen um Punkte spielen: Zweimal im eigenen Stadion, und das erste Mal im Dezember 2011 in Rostock, als die Strafe für den FC Hansa verhängt worden war.
Ebenfalls 2011 wurde Dynamo zunächst aus dem DFB-Pokal ausgeschlossen, weil beim Spiel in Dortmund massiv Feuerwerkskörper gezündet und geworfen worden waren. In der Berufung entschied das Bundesgericht auf ein Spiel ohne Zuschauer sowie 100.000 Euro Strafe. Die Ultras starteten mit dem Verein den Verkauf von sogenannten Geistertickets – so waren 41.738 Zuschauer beim 0:0 gegen Ingolstadt am 12. März 2012 nicht im Stadion.
3.000 Menschen feiern vor dem Stadion
Allerdings warteten davor rund 3.000 Menschen, um nach Schlusspfiff mit der Mannschaft zu feiern. Das ist in der aktuellen Krisenlage ein Horrorszenario, vor dem sowohl Virologen als auch Polizeigewerkschafter warnen. Als Borussia Mönchengladbach das erste Geisterspiel in der Bundesliga-Geschichte am 11. März, also kurz vor der wegen des Corona-Virus verordneten Zwangspause, gegen den 1. FC Köln mit 2:1 gewonnen hatte, veranstalteten vor der Arena etwa 500 Fans ein Spektakel.
Die Stimmungslage ist hinterher jedes Mal gleich: „Das macht überhaupt keinen Spaß“, meinte Gladbachs Trainer Marco Rose. Und Cristian Fiel, damals Spieler bei Dynamo, sagte über den Grusel-Kick gegen Ingolstadt: „Das ist grauenvoll. Ich bin froh, dass dieses Grauen ein Ende hat.“ Er erlebte es jedoch noch mal: Am 7. Februar 2015 verlor Dynamo in der 3. Liga gegen Erfurt vor leeren Rängen mit 0:1. Es war die vom Verein als hart, aber gerecht anerkannte Strafe dafür, dass zuvor in Rostock Leuchtraketen unter anderem in andere Zuschauerbereiche abgefeuert worden waren.
Es dürfte deshalb für alle schwierig werden, Geisterspiele nicht als Strafe zu empfinden, sondern als einen Ausweg für den Fußball in der Krise zu akzeptieren.