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Geblitzt, aber keiner ist gefahren

Eine Frau beschuldigt eine andere, mit ihrem Auto zu schnell gefahren zu sein. Selbst wenn sie gelogen hätte, wäre das nicht strafbar.

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Von Jürgen Müller

Heyda ist ein kleiner Ort kurz vor Riesa. Es gibt dort eine Kirche, einen geschlossenen Gasthof und auch sonst nicht viel zu sehen. Die Bewohner leben ruhig, auch dank einer 30er-Geschwindigkeitsbegrenzung. Kaum einer verirrt sich dahin, außer Autofahrer, die von Wölkisch in Richtung Riesa abbiegen. Und wo Autofahrer und Geschwindigkeitsbegrenzungen sind, da sind auch die unerbittlichen Gralshüter der Gerechtigkeit nicht weit. In 30er-Zonen kleiner Ortschaften stellen sie mit Vorliebe ihr neumodischen Gelddruckmaschinen – im Volksmund auch Blitzer genannt – auf. Denn da lässt sich richtig Kohle machen, weil man ganz leicht schneller als 30 ist. Hier wird häufig geblitzt, auch an jenem Augusttag kam einiges dabei rum.

Ein VW tappt in die Falle. Der ist zwar nicht sehr schnell, aber eben viel schneller als 30 Kilometer pro Stunde. Dem Halter aus Riesa flattert ein Bescheid mit Anhörungsbogen ins Haus. Der gibt auch alles zu, nimmt die angedrohte Geldbuße und den Punkt in Kauf. Hier könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein. Das Amt könnte sich freuen über ein bisschen Geld für die klamme Kreiskasse, und der reuige Sünder müsste mit den Konsequenzen leben. Aber nicht mit den eifrigen Mitarbeitern der Bußgeldstelle. Die stellen nämlich fest, dass der Halter nicht der Fahrer gewesen ist. Denn der ist aus anderen Verfahren bekannt. Das Blitzerfoto ist zwar grottenschlecht, dass aber eine Frau gefahren ist, sieht man. Nur wer ist gefahren? In geradezu akribischer detektivischer Kleinarbeit forschen die Mitarbeiter im Umfeld des Fahrers, lassen sich schließlich ein Foto der Ehefrau des Halters schicken. Ja, die könnte es gewesen sein. „Wir sind davon ausgegangen , dass sie gefahren ist“, sagt ein Mitarbeiter der Bußgeldstelle als Zeuge vor Gericht und schickt ihr einen Anhörungsbogen. Die antwortet auch, gibt eine ganz andere Frau, eine Nachbarin, als Fahrerin an. Die ist empört, streitet ab, jemals mit diesem Auto gefahren zu sein. Das Amt zeigt die Ehefrau des Halters nun wegen falscher Verdächtigung an. Deshalb muss sie sich nun vor dem Meißner Amtsgericht verantworten.

Über ihren Anwalt lässt sie ausrichten, dass sie vor Gericht keinerlei Angaben machen wird. Das Gericht hört nun die Frau an, die von der Angeklagten beschuldigt wurde, gefahren zu sein. Aber im Grunde geht es dem Richter nur darum, sich die Frau genau anzusehen und das Gesicht mit dem auf dem Blitzerfoto zu vergleichen. Doch zweifelsfrei feststellen, ob sie die Fahrerin war, kann er nicht, dazu ist das Foto viel zu schlecht. Ein erheblicher Teil des Gesichts ist im Dunkeln, zudem verdeckt der Lenkradkranz die Mundpartie. Offenbar war das Blitzgerät zu niedrig aufgestellt worden. Weil wegen des schlechten Fotos nicht festgestellt werden kann, wer gefahren ist, wird die Angeklagte vom Vorwurf der falschen Verdächtigung freigesprochen. Die Kosten für das Verfahren trägt die Staatskasse.

Richter Michael Falk betont zugleich, dass der Freispruch auch aus rechtlichen Gründen erfolgte, denn es stelle sich die Frage, ob es sich tatsächlich um eine falsche Verdächtigung handele oder, ob es sich im Rahmen eines erlaubten Verteidigungsverhaltens einer Beschuldigten hielte. Oder anders ausgedrückt: Ein Beschuldigter darf falsche Angaben machen, um sich zu verteidigen, ohne dass er sich damit strafbar macht. So hat jedenfalls auch das Oberlandesgericht Celle geurteilt. Pech für die Bußgeldstelle also. Die Einnahmen aus dem Bußgeldbescheid kann sie abschreiben, der Fahrer oder die Fahrerin – wer auch immer es war – kann nicht bestraft werden, weil er nicht zu ermitteln ist.