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Geburtstag einer alten Dame

Eine Betrachtung zum tausendjährigen Jubiläum des Ortes Brockwitz.

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Von Matthias Quentin

Herzliche Einladung zu meinem 1000. Geburtstag!“ - so stand es auf der Karte und ich traute meinen Augen nicht. So alt war noch keiner meiner Jubilare! Also, dass lasse ich mir nicht nehmen.

Schick angezogen tauche ich auf und da sitzt sie in ihrer guten Stube! Der erste Schwung der Gäste ist schon wieder raus und so haben wir etwas Zeit füreinander.

„Ja, schauen Sie sich ruhig etwas um, hier in meinem Schatzkästchen!“, nickt sie mir freundlich zu! Was es da alles zu sehen gibt: Bilder der Herren von Miltitz, die ihr fast 450 Jahre lang den Hof machten und dafür von ihr versorgt wurden. Eine Öllampe erinnert an die Zeiten, als es noch keinen elektrischen Strom hier gab, ein kleiner handgeschriebener Zettel listet sorgfältig die abgelieferten Eier, Getreidesäcke und Weintrauben auf. „Ja, das waren schon ganz andere Zeiten, damals“, flüstert sie, „das können Sie sich nicht vorstellen. Zu leben, das hieß damals zu überleben!“

Ein Rosenkranz in der Ecke mit den Kerzen erinnert an die Zeit, als hier alle katholische Christen waren. Und dann ist da wie in einer Ahnentafel die Reihe ehrwürdiger Männer zusammengestellt: die evangelischen Pfarrer seit 1539. „Bis heute waren 24 Kollegen hier, mit Ihnen“, sagt sie und scheint in die Erinnerung zu versinken. „Wissen Sie, so unterschiedlich die Zeiten auch waren, und so schwierig und oft mit viel Leid verbunden, hier haben die Menschen früher noch ganz anders zusammengehalten. Denn, nur gemeinsam konnten sie die Herausforderungen und Krisen, den 30-jährigen Krieg, die Seuchen und verheerenden Brände, die Abgabenlast und die Hochwasser bestehen! Nur gemeinsam!“

Ich denke an die Erfahrungen der Brockwitzer von vor einem Jahr, als die Elbe mit ihrem Wasser alle Pläne zum runden Geburtstag weggespült hatte. Ja, es hat sich da nichts geändert – nur gemeinsam geht es weiter!

„Und“, sagt die alte Dame, „unsere Kirche hat uns immer wieder den Raum geschenkt, miteinander unsere Sorgen auszusprechen, unsere Hoffnungen zu benennen, unseren Glauben stärken zu lassen, dass wir in allem begleitet und getragen sind von Gott, der Quelle und Heimat allen Lebens.“ Egal, ob es die katholischen Mönche und Priester damals waren oder die Pfarrer dann oder die Großmutter oder die Nachbarin. Es braucht und gibt immer wieder Menschen, die ermutigen und trösten und zur Versöhnung einladen, Gott sei Dank!

Ich frage sie, was sie den Menschen heute mit auf den Weg geben möchte. „Ach, wissen Sie“, sagt sie nach einer Weile, „wenn ihr meinen Geburtstag feiert, dann denkt mit daran, was ich erlebt habe und was mir bis hierher geholfen hat. Das kann auch euch helfen, ich denke, ihr braucht das heute genauso wie damals!“ Wir singen noch das Lied von dem Gott, der sie bis hierher gebracht hat und dann verabschiede ich mich wieder.

Bis zum Sonntag feiern die Brockwitzer noch mit ihren Gästen und die alte Dame wirkt dabei ziemlich jung!

Matthias Quentin ist Pfarrer in Brockwitz und Coswig.