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Geheimnisvolle Striche

Gut 45 Quadratmeter Leinwand liegen Ingolf Trautmann zu Füßen. Der Bühnenmaler hält locker den langen Pinsel in der Hand und zieht konzentriert einen schwarzen Strich nach dem anderen. Gleich daneben steht Silvio Schumann in die Arbeit vertieft.

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Von Miriam Schönbach

Gut 45 Quadratmeter Leinwand liegen Ingolf Trautmann zu Füßen. Der Bühnenmaler hält locker den langen Pinsel in der Hand und zieht konzentriert einen schwarzen Strich nach dem anderen. Gleich daneben steht Silvio Schumann in die Arbeit vertieft. Er trägt Filzüberzieher über den Turnschuhen und balanciert, immer auf dem Holzgerüst entlang, über die bespannte Fläche. Ein paar Handgriffe noch und der gemalte Vorhang legt sich gekonnt über den Balken. Die beiden arbeiten am Bühnenbild „Opiumhöhle“, das in wenigen Wochen beim Theatersommer zu sehen sein wird.

An den Wänden hängen die kleinen Zeichnungen von Ausstatter Miroslaw Nowotny. Auch das Modell der Bühne steht auf einem Schrank griffbereit. Auf einem Tisch liegen Bücher über Architektur im 19. Jahrhundert. Die Originalausgabe des Romans „In 80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne erschien am 30. Januar 1873 in Paris. Die Kulissen sollen so originalgetreu wie möglich aussehen.

Falten im Elefanten-Po

„Das Musical spielt zu einer Zeit, als es die Fotografie nur in den Anfängen gab. Deshalb sollen die Bilder wie alte Kupferstiche aussehen“, sagt Malsaalvorstand Ingolf Trautmann. Wie gut dies den Theatermalern gelingt, ist aus der zweiten Etage zu sehen. Von hier oben geht der Blick wie auf eine Staffelei, die Dimensionen verschieben sich, die zahllosen schwarzen Striche ergeben auf einmal ein Bild.

Über alldem baumelt ein lebensgroßer Elefant in Grau am Haken. Puppengestalterin Sigrid Schöneberg legt dem leichtgewichtigen Mehrtonner gerade den kolossalen Po in originalgetreue Falten. Noch ragen aus dem Kopf des Dickhäuters gelbe Plastikrohre als Stoßzähne. „Aber das sind nur die Platzhalter, dahin kommen noch schöne, weiche Schaumstoffe-Zähne“, sagt die Puppengestalterin. Gemeinsam mit Liane Rühle arbeitet sie seit drei Wochen an der etwas anderen Puppe. Beim Theatersommer wird der Elefant dann Kondition zeigen müssen. Vier Mann, in den Beinen steckend, werden das Tier in Bewegung setzen. Was er noch alles kann, wird vor der Premiere am 6. Juli nicht verraten.

Doch zurück in den Malsaal. In sich ruhend, hochkonzentriert, arbeiten die beiden Bühnenmaler. Von Zeit zu Zeit wird die Stille vom Tacker unterbrochen. Jürgen Lange bespannt gerade ein pyramidenförmiges Gerüst mit Baumwollnessel. Viele der insgesamt 13 Bühnenbilder sind bereits fertig. Greenwich, der Ausgangspunkt der verrückten Reise, steht an die Wand gelehnt – daneben die indische Landschaft, der Pariser Bahnhof, das Moulin Rouge, der Urwald und das weite Meer. Mit Hilfe einer Drehbühne schaffen Phileas Fogg und sein Diener Passepartout ihre Weltumrundung an einem Theaterabend.

Tüfteln an Fahrzeugen

Bis zur Premiere bleibt trotzdem noch viel zu tun. Anderthalb bis zwei Tage brauchen Ingolf Trautmann und Silvio Schumann, um eine Bühnenbildwand zu gestalten. „Und dabei müssen wir noch aufpassen, dass sich unsere Handschriften mischen. Der eine hat einen leicht runden, der andere ein geraden Strich“, sagt Ingolf Trautmann. Für den Zuschauer werden die beiden unterschiedlichen Malweisen nicht zu erkennen sein.

Während man im Malsaal lediglich die Pinsel auf der Leinwand kratzen hört, übertönen sich in der Tischlerei nebenan Bohrmaschine und Stichsäge. Michael Protze, hier der Chef, arbeitet gerade mit zwei Praktikanten an einer Gondel. Ein weiteres Boot – ein Schaufelraddampfer – steht schon im Hof bereit und wartet auf seinen Anstrich. „Geht nicht, gibt’s bei uns nicht“, sagt der Tischlermeister. Er arbeitet seit 32 Jahren im Theater und tüftelt immer noch gern an der Umsetzung der Ideen für das Publikum.

„Aus jedem Land wird es etwas Charakteristisches geben – Fahrzeuge, eine Dampflok, eine Draisine, zwei Eisenbahnwaggons und vieles mehr“, verrät er. Die Vehikel werden aus einem Metalluntergestell und einer Sperrholzbeplankung gebaut. Angetrieben werden sie allein mit Muskelkraft.

Gut drei Wochen haben die Mitarbeiter in den Werkstätten noch alle Hände voll zu tun. Doch auch während der Sommer-Spielzeit werden Michael Protze und seine Kollegen immer wieder ein Auge auf die Dekorationselemente werfen. „Schließlich geht auch mal etwas kaputt“, sagt er. Doch eins weiß der Mann mit dem Bleistift hinter dem Ohr ganz gewiss: „Ich baue gern alles, was zu bauen ist. Aber auf die Bühne zieht’s mich nicht!“