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Geklaut wird nicht

Manche Boxberger haben sehr laut geschimpft vor einem halben Jahr. Doch es wurde schnell friedlich.

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Von Frank Seibel

Diese Einbruchsserie im Sommer! Der Tresor aus der Sparkasse – ausgebaut und mitgenommen; die Kasse der Apotheke geplündert. Natürlich machte sogleich ein Verdacht die Runde: die Fremden waren’s. Die eigenen Fremden, die seit einem halben Jahr irgendwie zum Ort gehören.

Natürlich wird geredet über die bis zu 150 Flüchtlinge, die seit Anfang März in Boxberg leben. Direkt neben dem Braunkohlekraftwerk hat der Landkreis Görlitz die Gemeinschaftsunterkunft, wie es die Behörden nennen, im ehemaligen Berufsschulzentrum eingerichtet. So ist das eben in einem 900-Seelen-Dorf. Aber so aufgeregt wie am Abend des 5. März ging es hier nie wieder zu seitdem. Damals hatte der Bürgermeister zu einer Versammlung ins Gemeindehaus eingeladen. Der Raum war viel zu klein für die etwa 200 Menschen. Einen Tag zuvor hatte der Landkreis den Gemeinderat offiziell darüber informiert, dass in Boxberg ein Flüchtlingsheim eingerichtet werden soll.

Die Stimmung im Saal wirkte aggressiv. Dabei waren es schon damals nur wenige, die mit derben Sprüchen und respektlosen Zwischenrufen den zuständigen Dezernenten des Landkreises zwangen, mehrmals auf Artikel 1 des Grundgesetzes hinzuweisen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, betonte Werner Genau damals, „und hier kommen Menschen, keine Räuberbanden“. Klauen, Glotzen, Grabschen – das erwarteten die Boxberger Wutmenschen von den Ankömmlingen. Die Einbruchserie im Sommer passte ins Bild. „Wie sollen die Flüchtlinge in eine Bank einbrechen und den Tresor abtransportieren? Die haben kein Werkzeug und kein Auto!“ Noch heute schüttelt eine 53 Jahre alte Händlerin lachend den Kopf, wenn sie sich an die Gerüchte im Ort erinnert. Sie hat mit den Flüchtlingen kein Problem. Aber sie kennt genügend Leute, die noch immer schimpfen und mit Vorurteilen hausieren gehen. Meist geht es um Sozialneid. „Dann frage ich die Leute, wann sie das letzte Mal selbst Geld verdient und in die Sozialkasse eingezahlt haben.“

Die Händlerin will anonym bleiben – wie die meisten Boxberger, die sich den Flüchtlingen zuwenden und ihnen helfen. Aber von denen gibt es etliche. Schon unmittelbar nach der turbulenten Bürgerversammlung im März haben sie eine Helfergruppe gebildet. Und als die Flüchtlinge im neuen Heim ankamen, lagen schon die ersten Teddys bereit. Frauen und Männer bieten Deutschunterricht an, spielen mit Kindern, sammeln Kleider und Spielzeug, fahren mit Asylbewerbern zu Behörden nach Weißwasser oder Niesky.

Am Supermarkt mitten im Ort reagieren die meisten Leute entspannt. „Alles ist ruhig. Die grüßen meist freundlich“, sagt eine Frau Ende fünfzig. Eine Verkäuferin im Supermarkt sagt lachend: „Keine Probleme“. Und die Polizei hat seit März genau Vergehen verfolgt, an denen Asylbewerber beteiligt waren: ein Ladendiebstahl und eine sexuelle Belästigung. Auf 150 Deutsche kommen oft mehr Diebstähle, sagt der Revierleiter. „Das ist nichts, was uns beunruhigen müsste“. Das Begaffen von Frauen am Bärwalder See war schon eher ein Problem. Das sagt der Ortsvorsteher, und das bestreitet auch die Polizei nicht. Doch die Gemeindeverwaltung reagiert darauf mit Schildern zu Verhaltensregeln. Und im Heim selbst werden die Flüchtlinge darauf hingewiesen, was in Deutschland geht und was nicht. „Vorbildlich“ nennt der Leiter des Polizeireviers die Zusammenarbeit zwischen den Betreibern des Heimes, der Gemeinde, den Helfern und der Polizei. „Probleme werden frühzeitig angesprochen, sodass wir damit umgehen können.“