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Geliebter Feind, vergiss mich nicht

Ihr Liebeswort stand unter keinem günstigen Stern. Vor 53 Jahren begegneten sich Claus und Shanna im russischen Gorki. Er, der Wehrmachtssoldat in sowjetischer Gefangenschaft, sie, die schöne russische Ansagerin. Auch nach Jahrzehnten der Trennung konnten sie sich nicht vergessen. Jetzt, ein halbes Jahrhundert später, sehen sie sich wieder. In Moritzburg.

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Von Frank Roßmann

Shanna Woronzowa ist zum ersten Mal in Moritzburg. Zum ersten Mal kann sie damit auch Dresden besichtigen. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist sie in Deutschland, der Heimat jenes Mannes, den sie seit einem halben Jahrhundert liebevoll Kolja nennt.

So hatte sich Claus Fritzsche 1947 der damals 17-jährigen Russin vorgestellt: „Ich heiße Claus, das ist die Kurzform von Nikolaus, Nikolaus heißt bei Euch Nikolai und die russische Kurzform ist Kolja.“ Während eines Orchesterkonzertes im russischen Gorki waren sich die beiden begegnet.

Kontakt zu Gefangenen war untersagt

„Claus, der deutsche Dolmetscher, und Shanna, die russische Moderatorin für die Konzertveranstaltung, kamen hinter der Bühne ins Gespräch. Da habe er auf einmal geseufzt. „Was seufzt du, Kolja?“, fragte sie. „Wäre ich ein freier Mensch, dann würde ich dich bitten, mit mir spazieren zu gehen“, habe er damals entgegnet. Fritzsche erinnert sich genau an ihr „da“, ihre Zustimmung. Doch ein langer Flirt blieb den beiden versagt, denn er war deutscher Soldat in russischer Kriegsgefangenschaft, persönliche Kontaktaufnahme mit dem internierten Feind tabu.

Bereits während des Konzertes, bei dem deutsche Gefangene aus insgesamt zehn Lagern in der Umgebung aufspielten, verlor Shanna Woronzowa den Deutschen aus den Augen. Ein hoher Offizier fragte noch während der Veranstaltung nach dem Grund für ihre Traurigkeit. Sie habe sich zum ersten Mal wirklich verliebt, habe sie geantwortet. „Auch du kleines Dummchen“, die Reaktion des Offiziers. 1949 wurde Fritzsche schließlich aus der Gefangenschaft entlassen. Er kehrte nach Deutschland zurück und suchte nach einer geregelten Arbeit als Dolmetscher.

Nach Abitur keine Lehre, sondern Waffendienst

„Ich hatte ja nichts anderes gelernt als Russisch. Direkt nach dem Abitur hatte ich den Waffendienst begonnen, machte eine Ausbildung zum Bordfunker und ging dann an die Front“, erzählt Fritzsche. So habe er schließlich auch in der Zeitung inseriert, um eine Stelle zu finden. Wochen nach der Annonce dann plötzlich ein Brief. Absender: Shanna Woronzowa. Die Annonce des Heimkehrers war auf Umwegen bis in die Sowjetunion gelangt. Ein Freund, selbst ehemaliger Kriegsgefangener, der aber als Dozent an der Antifa-Schule von Gorki geblieben war, hatte die Anzeige entdeckt. „Der kannte auch Shanna gut und zeigte ihr das Inserat, in dem ja auch meine volle Adresse stand“, sagt Fritzsche. Sie begannen, sich regelmäßig zu schreiben. 1958 dann die Chance: Fritzsche, inzwischen zertifizierter Dolmetscher, soll eine Dienstreise von DDR-Funktionären nach Moskau begleiten. Absprache per Telegramm: Shanna kommt nach Moskau ins Hotel. „Das war keine einfache Sache, immerhin waren Privatkontakte zur einheimischen Bevölkerung auf Dienstreisen untersagt“, erzählt Fritzsche. Doch sein Vorgesetzter zeigte sich schließlich verständnisvoll und gab ihm für das Wochenende frei.

„Da unternahmen wir den Spaziergang, der uns bei der ersten Begegnung verwehrt geblieben war“, sagt Fritzsche. Allein reist er in die DDR zurück, der Briefkontakt schläft ein. Über seine Nichte Almut Böttcher und den Freund aus Gorki stellt Fritzsche den Kontakt zu Shanna Mitte der Neunziger wieder her. Vieles hat sich für die zwei verändert: Beide haben Kinder und bereits eine Ehe hinter sich. „In zärtlicher Freundschaft“, wie sie es nennen, verbringen sie jetzt einige Tage in Moritzburg bei Almut Böttcher. „Leider hat uns das Leben nicht zusammengeführt“, sagt Woronzowa. Heute fährt sie wieder nach Russland zurück. Allein. „Wir sind trotzdem dankbar darüber, dass es so gelaufen ist“, sagt Woronzowa. Sie fahre glücklich in die Heimat zurück.